Der Düsterkrallenwald: Roman (German Edition)
Verhängnis werden. Auch wenn ihr beteuert, keinen Einfluss auf die Vorfälle gehabt zu haben. Mir ist es lieber, ihr seid aus dem Blickfeld und auf euch allein gestellt, als dass ich zusehen muss, wie euer Vater gezwungen wird, euch der Gerichtsbarkeit zu übergeben. Wenn es wirklich so ist, wie ihr erzählt habt, dann wird sich die Sache schnell aufklären lassen, und ihr könnt zurück.«
Milo und Bonne wussten nicht genau, was sie erwartet hatten oder wie Tante Rubinia und Meister Othman ihnen hätten helfen können. Wahrscheinlich hatten sie bereits den bestmöglichen Plan vorgetragen, doch in Worte gefasst klang es irgendwie deprimierend.
»Werden wir nach Eichenblattstadt zurückkehren können?«, fragte Bonne mit belegter Stimme.
»Natürlich werdet ihr das«, erklärte Rubinia. »Es wird sich alles zum Guten wenden. Das hat es immer getan. Ich weiß, ihr seid anständige Jungs.«
»Anständige Jungs in einer verzwickten Lage«, fügte Othman hinzu. »Aber ich bin mir sicher, dass mehr hinter dem Vorfall steckt. Einem unglücklich geworfenen Kirschkern die Schuld am Tod eines halben Dutzend anständiger Bürger zu geben, wäre vermessen und dumm. Wenn es eine Erklärung für diese Gräueltat gibt, werde ich sie finden und aufdecken.«
»Aber heute Nacht bleibt ihr noch hier«, beschloss Rubinia. »Ihr werdet euch ausruhen und darauf warten, dass die nasse Kleidungtrocken wird. Morgen werde ich eure Proviantsäcke auffüllen, und Meister Othman wird nachsehen, ob er noch eine Karte von Graumark findet. Wer noch nicht weiß, wo er hin will, sollte zumindest wissen, wo er gerade ist, und wo er herkommt, hat euer Großvater immer gesagt. Und was dieses Gerede von eurer Mutter betrifft, so kann ich euch versichern, dass sie gestorben ist. Ich habe an ihrem Bett gesessen und ihre Hand gehalten, als sie den letzten Atemzug machte. Meister Gindawell hat wahrscheinlich, bedingt durch die Schmerzen, schon phantasiert. Es ist nobel von dir, seinen letzten Worten Glauben zu schenken und dich seinem Willen anzunehmen, doch glaube mir, die Suche wird dich nicht weiterbringen.«
»Eure Tante hat Recht«, brummte Othman. »Meister Gindawell war ein weiser Mann. Aber den Worten eines Sterbenden sollte man nicht allzu viel Bedeutung beimessen. Tut jetzt lieber, was euer Tantchen euch sagt, Jungs. Sie hat eine harte Rechte. Außerdem solltet ihr auf keinen Fall das Abendbrot verpassen. Sie macht heute Gänseleberpastete auf einem Wirsingkümmelbett. Wenn ihr mir nicht helft, alles aufzuessen, wird sie mich wieder tagelang mit diesem besorgt-vorwurfsvollen Blick ansehen.«
»Danke für alles«, flüsterte Milo.
»Ich liebe Gänseleberpastete«, fügte Bonne hinzu.
8. DORN UND SENETHA
Senetha stand in dem kleinen Durchbruch, der auf den Hinterhof einer Schankstube führte. Zum Gutsherrn schimpfte sich das Lokal, das überwiegend von Männern besucht wurde, die versuchten, für wenig Geld die Strapazen des Alltags mit billigem Fusel zu ertränken. Bereits eine halbe Stunde harrte sie schon hier aus und hatte mindestens ein Dutzend Rempler ertragen müssen. Merkwürdig war nur, dass die bereits abgefüllten Gäste mit Bravour an ihr vorbeizogen, während die noch nüchternen Neuzugänge nicht ohne zumindest einen Hand-Po-Kontakt an ihr vorbeikamen.
Dorn hatte Stellung auf der anderen Straßenseite bezogen. Er schien genau zu wissen, was oder besser gesagt wer diese Rempeleien heraufbeschwor. Senetha musste ihn ständig beruhigen, weil irgendwelche Männer unflätige Bemerkungen hinter ihr herriefen, sie unsittlich begrapschten oder versuchten, sie mit ihren Blicken auszuziehen. Dorn hätte für sie alle eine passende Antwort gehabt, und das ohne viel Worte zu verschwenden. Aber Senetha schaffte es immer wieder, ihn zu beruhigen, und ihn davon zu überzeugen, dass alles nur ein Spiel war, das ausschließlich Männer spielten, wenn sie anders keine Bestätigung fanden. Dorn wäre jederzeit bereit gewesen, ihnen ein Kräftemessen anzubieten, damit sie sich besser fühlen konnten, doch Senetha bezweifelte, dass sich irgendjemand darauf einließe, wenn er dem Söldner von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand. Schließlich waren die Kerle nur übermütig und nicht des Lebens überdrüssig. Wenn Dorn sie sich alle vorgenommen hätte, wäre schnell der Eindruck entstanden, in Zargenfels wütete die Beulenpest.
Dorn ließ es sich trotzdem nicht nehmen, jeden Rempler des heutigen Tages mit einem finsteren Blick zu würdigen und
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