Der Duft der grünen Papaya
Peinliche war, dass sie nicht mal wusste, ob in ihrem Haus in Frankfurt nicht irgendetwas aus Tropenholz gefertigt war, und sei es nur ein blödes Schnitzfigürchen, ein Staubfänger, den sie womöglich im Vorbeigehen erstanden hatte. Akazienholz, Mahagoni, Mango, Teak – das waren für sie stets nur verführerische Begriffe auf Reklameschildern in Möbelläden gewesen, welche Geschichte aber dahinter stand, damit hatte sie sich nie beschäftigt – bis heute.
Eine Minute schwiegen sie. Evelyn fragte sich, was in Ili jetzt vorging, und sie gestand sich ein, das nicht mal annähernd nachvollziehen zu können. Nicht nur, dass man ihr den Mittelpunkt eines einundneunzigjährigen Lebens wegnehmen wollte – man wollte ihn auch bis zur Unkenntlichkeit zerstören. Man vernichtete alles. Man vernichtete eine ganze Insel.
»Moana weiß ganz sicher nichts davon«, sagte Ili. »Sie hatte immer schon ein anderes Verhältnis zu dem Land als ich, aber sie würde nicht zulassen, dass es verwüstet wird. Ich spreche mit ihr, und dann beenden wir diesen Spuk.«
»Sie sollten die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass Moana Ihnen nicht glauben wird«, wandte Evelyn ein. »Nach allem, was ich zwischen Ihnen beiden beobachtet habe, wird sie Ihnen eine Lüge unterstellen, ein Manöver, mit dem Sie in letzter Sekunde den Verkauf verhindern wollen.«
»Daran habe ich gar nicht gedacht. Seltsam, oder? Für einen Moment hatte ich wirklich vergessen, wie es zwischen mir und Moana steht. Ich habe sie auch als Opfer eines hinterhältigen Tricks, als Betrogene gesehen. Doch Sie haben leider Recht, Evelyn. Moana wird mir kein Wort glauben – wenn sie überhaupt zuhört. Tja, Ane kann ich nicht darum bitten. Sie steckt bis zum Hals mit dem Amerikaner unter einer Decke – in mehr als einer Hinsicht, wie ich vermute.«
Bei dem Gedanken, dass auch sie mit ihm für eine Nacht unter einer Decke gesteckt hatte und beinahe ein Werkzeug in Ray Kettners Händen geworden wäre, wurde Evelyn wütend.
»Ich habe Ane in Apia getroffen und sie mit den Fakten konfrontiert. Sie hat sehr überrascht getan, als ich ihr die Neuigkeiten berichtete, aber, um ehrlich zu sein, ich glaube ihr kein Wort.«
Ili nickte. »Sie enttäuscht mich, und wenn ich nicht meine Gründe hätte, sie nicht ganz aufzugeben, dann …« Ili seufzte. »Wen könnte ich noch bitten, mit Moana zu sprechen?«
»Wie wäre es mit dem alten Ben?«, schlug Evelyn vor.
»Im Grunde keine schlechte Idee. Er ist außer Ane der Einzige, mit dem Moana noch näheren Kontakt hat. Doch er müsste erst einmal selbst überzeugt werden, und abgesehen davon wird Moana vermuten, er habe nur irgendwelche Gerüchte aufgeschnappt. Er ist ein lieber Mensch, aber sie wird ihn nicht ernst nehmen, dafür ist er einfach zu schwatzhaft.«
Ein weiterer Moment verstrich, dann sagte Evelyn: »Wie wäre es, wenn ich mit ihr spreche?«
Sie, die sich gestern noch äußerst widerwillig in die Familienaffären der Valaisis hatte hineinziehen lassen, hielt dies alles jetzt für eine Herausforderung. Es ging ihr nicht nur darum, Ray Kettner etwas heimzuzahlen. Mehr und mehr identifizierte sie sich mit Ili und war entschlossen, ihr zu helfen, denn allein konnte Ili sich gegen einen windigen Geschäftsmann und den Verrat in der eigenen Familie nicht behaupten. Evelyn dagegen standen Mittel und Kenntnisse zur Verfügung, die Ili nicht hatte, nicht haben konnte . Ray durfte nicht gewinnen, das war ihre feste Überzeugung. Sie war mittendrin in einem Kampf – und dort fühlte sie sich so wohl wie lange nicht.
»Sind Sie sicher, dass Sie das tun wollen?«, fragte Ili mit einem besorgten Unterton. »Das letzte Mal, als Sie sich mit den Angelegenheiten von uns Valaisis beschäftigt haben …«
Evelyn unterbrach sie: »Sagen Sie selbst: Wenn jemand Moana überzeugen kann, dann doch wohl am ehesten eine Außenstehende.«
Evelyn näherte sich behutsam der hageren Gestalt. Moana saß auf einer Matte der Veranda, an die Hauswand gelehnt, und spielte mit einem verschlossenen Glas, in dem sich Dutzende roter Käfer tummelten. Diesem auffälligen Insekt begegnete man ständig auf den Inseln, und Evelyn erinnerte sich, wie Ili in den letzten Tagen mehrere Exemplare verjagt oder mit dem Finger weggeschnippt hatte. Moana schien ein innigeres Verhältnis zu den Tierchen zu haben, jedenfalls sprach sie auf Samoanisch mit ihnen, kicherte zwischendurch und lächelte wie bei einer gerne gehörten Antwort.
Dieser Teil der
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