Der Duft der grünen Papaya
erlebt und gesehen habe. Sie hat ihn gehasst, Atonio, meinen Sohn. Nicht von Anfang an, zugegeben. Als er aber anfing, sich in die Geschäfte der Plantage einzumischen, wurde er zu ihrem Gegner. Ständig stritten sie miteinander. Es war Atonios Recht, die Plantage gemeinsam mit Ili zu bewirtschaften, doch das wollte sie nicht einsehen. Jede Entscheidung, die er traf, unterwanderte sie. Er konnte einfach nicht vernünftig mit ihr arbeiten. Sie schrien sich immer lauter an.«
Moana unterbrach ihre Erzählung kurz, um sich langsam wie eine welkende Blume auf die Matte niederzulassen. Sie wirkte verletzlich.
»Und dann kam der Tod. An einem windigen Sonntag, an dem man sein eigenes Wort kaum verstand, ging Atonio in die Papayas und kam nicht wieder zurück. Man hatte ihn
mit einem stumpfen Gegenstand bewusstlos geschlagen und danach die Plantage angezündet. Steht so im Polizeibericht. Atonio verbrannte. Und ich, ich hatte Ili kurz zuvor beobachtet, wie sie ihm in die Plantage gefolgt war – mit einem schweren Werkzeug in der Hand.«
Erneut machte Moana eine Pause.
»Man fand nur seine … völlig unkenntlich. Habe gesehen, was von ihm geblieben war. Erzählte der Polizei, dass ich Ili beobachtet hatte, doch man fand nicht genügend Beweise für ihre Schuld. Es wurde keine Anklage erhoben. Verjagt habe ich sie vom Friedhof und blieb die ganze Nacht an Atonios Grab. Waren die härtesten Stunden meines Lebens.«
Evelyn blickte Moana traurig an und berührte sie sacht an der Schulter. »Es tut mir Leid um Ihren Sohn. Ich kann Ihnen nachfühlen, denn auch ich habe ….«
Moana erwachte wie aus einer Trance, und ihre Stimme gewann wieder die gewohnte Bitterkeit zurück. »Sie verstehen gar nichts. Dieses Weib hat mir mein ganzes Leben lang nur Leid zugefügt – hat sie Ihnen davon erzählt? Nein, natürlich nicht. Alles, was mein Leben froh gemacht hätte, hat sie mir genommen. Wie ein Raubtier hat sie in meinem Leben gewütet, kein Mitleid gekannt. Nun soll ich Mitleid mit ihr haben? Soll sie doch alles verlieren, woran sie hängt. Soll sie endlich den Schmerz fühlen, den ich schon mein ganzes Leben lang ertrage. Soll sie leiden!«
Moana spie das Wort geradezu aus, die Spannkraft der Klapperschlange kehrte wieder zurück.
»Als Ane diesen Amerikaner anschleppte, begriff ich, dass das die Gelegenheit war, Ilis Herz in Stücke zu schneiden und ihr endlich alles heimzuzahlen, was sie mir angetan hat. Nichts von dem, was Sie mir erzählt haben, wird daran etwas ändern.«
Evelyn atmete die feuchtwarme tropische Luft tief ein. »Aber das wunderbare Land Ihrer Eltern, die Bäume …«
Moanas Kopf zitterte vor Erbitterung. »Es geht hier nicht um Bäume, begreifen Sie das nicht?«
»Worum geht es denn sonst? Ich möchte es verstehen.« »Ili und ich: Eine von uns wird die andere erledigen. Darum geht es. Ili zu begraben ist das einzige Ziel, das ich noch habe, und wenn dafür das Land dahingeht und Ane und irgendein Ausländer davon einen Gewinn haben, so muss ich das eben hinnehmen. Ich werde es hinnehmen.«
Sie schoss wieder hoch, schob Evelyn zur Seite, verließ den Schutz der Hecken und schrie in Richtung von Ilis Veranda: »Dieses Haus soll zu Schutt zerfallen, und du sollst daran zugrunde gehen! Verrecken, hörst du? Ver-re-cken!«
Und dann presste sie es wieder aus sich heraus, dieses beängstigende, raue, rachsüchtige Lachen.
Zwei uniformierte Männer trugen Ili aus dem Haus, als es schon Nacht war. Die Vögel in den Baumkronen schreckten auf und flatterten in alle Richtungen davon. Dann kamen Maschinen, wie Ili sie noch nie gesehen hatte, und droschen wie mächtige Golems auf den Papaya-Palast ein. Sie versuchte zwar, das Haus zu retten, doch die Polizisten ließen sie nicht los, und als sie sich umdrehen wollte, um wenigstens nicht dabei zuzusehen, hinderten die Männer sie daran. Die Veranda ging als Erstes zu Bruch. Hinter Ili riss ein Schaufelbagger die Erde des Gartens auf und fällte eine krumme Kokospalme, und hinter einer Hecke kam Moana hervor und lachte.
Ili erwachte jäh, als eine frische Bö die Vorhänge bauschte und über die leeren Fußböden wehte. Der Wind war durch die Papayas gefegt und roch nach Regen und jungem Laub, dem samoanischen Duft des Novembers. So plötzlich, wie die Brise gekommen war, verschwand sie auch wieder und hinterließ eine beklommene Stille.
Ili sah von ihrem Sessel aus in die blaue Nacht, die eingepasst
war in das Viereck des Fensters, und jetzt erst
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