Der Duft der grünen Papaya
angehäuft. Einer hatte unter Wallenstein gegen die Schweden gekämpft, ein anderer unter Prinz Eugen bei Malplaquet, und Tristans eigener Vater war als blutjunger Bursche bei Sedan die Hügel hinaufgestürmt, damals, im deutschfranzösischen Krieg anno 1870. Die Arnsbergs hatten Kaisern und Königen und Päpsten gedient, ihre Gebeine lagen in aller Welt verstreut, in Jerusalem, in Burgund, in der afrikanischen Weite von Deutschsüdwest. Hatte Tristan nicht – ob es ihm nun passte oder nicht – eine Verantwortung gegenüber seinem Namen? Durfte er einfach nur an sich denken? Und hatte Tupu nicht die Strafe, die Tristan ihm zuteil werden lassen sollte, verdient? Es war die normalste Sache von der Welt: Ein vierfacher Mörder wird zum Tode verurteilt. Tupu war nicht mehr zu retten, so oder so. Aber er, Tristan von Arnsberg, war noch zu retten.
Nach Stunden, der Mond war längst erloschen, beugte Tristan sich vorsichtig über die schlafende Tuila und drückte seine Wange auf ihre. Sie murmelte etwas im Halbschlaf, das er nicht verstand, und er dachte daran, dass er genau solche Augenblicke gemeint hatte, als er damals vom Glück träumte. Das wollte er festhalten, doch er wusste, dass das Glück wie eine Hand voll Sand war, der umso stärker zwischen den Fingern hindurchschlüpfte, je fester man zugriff.
Welche Entscheidung auch immer er traf, sie würde Tuila unglücklicher machen. Mehrmals wollte er sie aufwecken und ihr die ganze Wahrheit unterbreiten, aber jedes Mal, wenn er sie friedlich schlafen sah, brachte er es nicht fertig. Er konnte es einfach nicht.
Als sich das Morgengrauen ankündigte, bemerkte Tuila, dass er wach war. Sie kuschelte sich an ihn und fragte, halb wach und mit geschlossenen Augen: »Die Morde beschäftigen dich, nicht wahr? Sie rauben dir jede Fröhlichkeit und Ruhe.«
»Ich frage mich, wie die Familie des Mörders darüber denken wird, wenn wir ihn kriegen.«
»Keiner hat gerne einen Verbrecher bei sich. Du weißt also, wer es ist?«
»Er ist gewarnt, doch er flieht nicht.«
Sie gähnte. »Dann ist er entweder sehr mutig oder sehr dumm. Wenn ich seine Frau wäre, würde ich ihn ins Inselinnere fortschicken, wo er jahrelang leben kann, ohne dass ihr ihn findet.«
»Aber, Tuila, er ist ein mehrfacher Mörder, ein Schlächter geradezu. Er muss bestraft werden.«
Sie gähnte erneut, ihre Stimme wurde mit jedem Wort leiser und schwächer. »Ich würde kein Wort mehr mit ihm sprechen, und das ganze Dorf würde es mir nachtun. Er wäre für uns erledigt. Aber ihn offenen Auges in den Tod schicken … vor eure Gewehre … Nein, ich glaube, das … brächte … ich … nicht …«
Sie schlief erneut.
»Manuia te po« , flüsterte Tristan. »Gute Nacht.«
Er hatte nach diesem Gespräch nicht die Absicht, sie aufzuwecken.
Nur wenige Minuten später schlich er aus dem Schlafzimmer. Er kleidete sich im Nebenraum an, wobei er mehr Wert als sonst auf die Fasson seiner Leutnantsuniform legte. Draußen führte er sein Pferd am Zügel und saß erst ein Stück entfernt auf, so dass niemand im Palast ihn hörte. Er ritt gen Nordosten, nach Salelologa, über dem der Himmel kurz vor Sonnenaufgang leuchtete.
Auf der Station verrichteten zwei Männer der Fita-Fita mehr schlecht als recht ihren Wachdienst. Er weckte sie und befahl ihnen mitzukommen. Dann ritten sie zu dritt die Strecke zurück.
Tristan kannte Tupus Gewohnheiten genau. Manchmal schwamm sein Schwager gleich am Morgen im Atoll der Palauli Bay, an anderen Tagen rannte er erst ein Stück über die Pfade des Waldes, so wie heute. Tuila und Ivana waren unten an der Bucht, als er aus dem Haus trat und behände im Busch verschwand, ohne die Männer zu sehen. Sie gaben ihm einen gewissen Vorsprung, damit Tuila und Ivana nicht Zeugen seiner Verhaftung würden, die womöglich – wer konnte das vorher genau sagen? – eine unschöne Szene wäre. Es gab Verbrecher, die sich wie gefangene Raubtiere wehrten und, schon gefesselt, die schrecklichsten Flüche ausstießen. Tristan wollte die Sache für die Valaisis nicht grausamer machen, als sie ohnehin schon war. Später, wenn Tupu sicher auf der Station in Gewahrsam wäre, würde er selbst zum Palast reiten und die Frauen informieren. Wenn sie wollten, könnten sie dann beim anschließenden Prozess dabei sein – und erkennen, wen sie da zum Bruder, Mann und Sohn hatten.
Inmitten eines Kokoshains, wo die Stämme in lockeren Abständen voneinander aufragten und die Schatten der
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