Der Duft der grünen Papaya
die Seite gestellt worden. Man gab sie ihm an
der Tafel stets als Tischdame, sorgte dafür, dass er sie zum Tanz aufforderte, und wenn sich beide zum Kaffee setzten, verschwanden die übrigen Gäste um sie herum binnen Minuten und ließen sie allein. Die Absicht dahinter war so klar wie der Januartag: Um Überraschungen vorzubeugen, betätigten sich die Damen am liebsten als Kupplerinnen, so behielten sie alles unter Kontrolle. Nach dem Willen der Gouverneursgattin sollte Tristan sich wohl nach angemessener Zeit mit Clara Hanssen verloben und nach wiederum angemessener Verlobungszeit heiraten. Natürlich hatte der Brautvater längst sein Einverständnis zu diesem Geheimplan gegeben, ebenso die übrige Frauenriege. Nur sie beide noch nicht.
In gewisser Hinsicht ähnelten sie einander. Beide hatten einige Sommersprossen auf der Nase und unter den Augen, beide hatten blondes Haar mit einer Spur ins Rötliche, ein schmales Gesicht, eine schlanke Figur und helle Augen. Damit endeten allerdings ihre Gemeinsamkeiten. Clara Hanssen sah die Welt noch immer so, wie man sie ihr als Kind erklärt hatte: dass durch die Straßen von New York Kuhherden getrieben würden, dass der Kaiser seine Würde von Gottes Gnaden besäße und dass es den Menschen in den Fabriken und Kohleminen im Grunde doch gut ginge. Dass die Arbeiter in Deutschland undankbar seien, wenn sie die Sozialisten wählten – wobei sie nichts über die Sozialisten wusste, denn sie las nie. Weder Bücher noch Musik noch Malerei begeisterten sie, und Sport war in ihren Augen ausschließlich etwas für Männer, selbst Reiten und Bogenschießen, das bei den Damen in Deutschland in Mode gekommen war. Das Frauenwahlrecht, das in Europa gerade heftig diskutiert wurde, jagte ihr sogar Angst ein. »Du liebe Güte, was würde ich damit anfangen?«, hatte sie zu diesem Thema einmal gesagt. »Ich würde wohl Papa fragen müssen.«
Clara Hanssens Lebensweg schien Tristan vorgezeichnet. Sie würde eines Tages mit einem begüterten Mann ein herrschaftliches Haus führen. Zweimal in der Woche würde sie sich mit den Gattinnen von Konsuln, Räten, Großkaufleuten oder Fabrikanten zum Kaffee treffen, über das Wetter und die neuesten Brokatmuster sprechen und den Klavier oder Flöte spielenden Kindern dieser Gesellschaft applaudieren. Jeden Sonntag ginge sie in die Kirche und spräche nach dem Gottesdienst noch ein paar Worte mit dem Probst über die schöne Predigt und vielleicht das Wetter. Sie würde wenigstens einhundert Mal am Tag irgendetwas »reizend« oder »nett« finden, ohne es wirklich wahrzunehmen, wie sie überhaupt an den meisten Dingen des Lebens gleichgültigen Blickes vorüberschreiten würde. Niemand würde sie je ernst nehmen, aber jede Menge Leute würden ihre Anmut loben und die Art, wie sie ihr Haar trug. Und bei alledem würde Clara sich eine glückliche Frau nennen.
Er seufzte fast unhörbar, hielt ihr den Arm hin und wollte sie zu einem kleinen Pavillon führen, doch sofort erhob sie Einspruch.
»Oh, bitte an den Rosenbüschen entlang, Herr Leutnant.«
»Gefallen sie Ihnen?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Die Frau Gouverneur hat uns diesen Weg empfohlen.«
»Deswegen können wir doch trotzdem zum Pavillon gehen.«
Hätte er zum Aufstand aufgerufen, hätte sie ihn nicht irritierter anblicken können.
»Wir müssen schon tun, was die Frau Gouverneur sagt.«
Erneut seufzte er leise, doch er entsprach Clara Hanssens Wunsch. Alles andere wäre ungalant gewesen.
Er dachte wieder an Tuila, ihr Lächeln am Morgen. Er
wünschte sich, ihre Haut zu riechen, die sie mit Blütenöl einrieb, ihre Stimme zu hören, wenn sie sang, mit ihr in den Ozean zu springen, Geschichten über ihr Volk erzählt zu bekommen … Immer war sie in Bewegung, körperlich und geistig. Dennoch hatte er in den drei Monaten, die er sie kannte, nie so etwas wie Eile an ihr bemerkt oder gar Langeweile. Sie war wie einer der hiesigen Gebirgsbäche, sie war lebendig und trotzdem beruhigend.
»Was meinen Sie dazu, Herr Leutnant?«, unterbrach Clara Hanssen seinen Gedankenflug.
»Wie bitte?«
»Ich sagte eben, ist diese Hitze nicht entsetzlich?«
»Diese samoanischen Weiber sind einfach pfundig!«, rief einer der Gäste in die Runde hinein, woraufhin die Übrigen kurz und abgehackt auflachten oder zumindest schmunzelten.
Man hatte sich zur so genannten »Herrenrunde« ins Haus zurückgezogen, noch ein Ritual, das Tristan bereits zur Genüge kannte und nur widerwillig über
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