Der Duft der grünen Papaya
mehr als sechs Wochen Reise entfernt und ohne telegraphischen Anschluss, fühlt eine Mutter sich ohnmächtig. Jeden Tag frage ich mich, wie es Dir wohl ergeht, was Du gerade tust etc.
Hier auf Arnsberg hat es einige Aufregung gegeben.
Denk Dir, von den Fotografien, die wir von Dir und uns am Tag vor Deiner Abreise haben machen lassen, ist nicht viel geblieben. Ein Missgeschick des Gesellen des Fotografen führte dazu, dass von den drei Bildern nur eines etwas taugt. Unser Familienbild sowie das Porträt von Dir in Deiner schönen weißen Leutnantsuniform des Überseekorps sind unbrauchbar. Geblieben ist lediglich das Bild, welches Du aus einer seltsamen Laune heraus hast machen lassen, das Porträt von Dir ohne Uniform. Dein Vater ist sehr enttäuscht darüber, denn wo immer er hinkommt, erzählt er, dass sein Sohn in Übersee dient und sogar eine ganze Insel kommandiert. Jüngst, als wir zur Kur in Wiesbaden waren, sind wir zufällig auf Reichskanzler von Bethmann Hollweg getroffen, und der wollte nach den Berichten Deines Vaters ein Bild von Dir sehen, doch Dein Vater fand das Zivilporträt unangemessen und konnte dem Reichskanzler also keines zeigen. Das hat Deinen Vater hinterher schon sehr geärgert. Vielleicht hätte es ja Deinem Fortkommen genutzt.
Ich hätte es Dir gerne erspart, aber nun muss ich Dir doch noch berichten, dass es Deinem Vater nicht allzu gut geht. Die Gicht macht ihm zu schaffen, so dass er manche Tage nicht aus dem Schloss kann, und dann ist er unleidlich und macht mir den Tag schwer.
Mein lieber Tristan, ich hoffe ehrlichen Herzens, dass Du uns bald schreiben wirst und gute Nachrichten bringst. Das würde Deinen Vater aufrichten und mich glücklich machen.
Du bist alles, was ich habe. Passe auf Dich auf.
Herzlich
Deine Dich liebende Mama
Mit einem unguten Gefühl las er den Brief ein zweites Mal. Seine Mutter war eine zaghafte, stille Frau, die immer ein
wenig mutlos wirkte. Ein wenig von ihrer Melancholie hatte sie an ihn vererbt, die Vorliebe für Morgenspaziergänge im Nebel, der wie Pfützen zwischen den westfälischen Hügeln ruhte, für die Oktoberbäume in ihrer unermesslichen Pracht, für Klaviermusik, knackendes Kaminholz und die kristallene Schönheit der weiß gepuderten Winterwiesen. Und für Literatur. Ihrem Paket lagen sieben Bücher bei: die neueste Novelle eines gewissen Thomas Mann, ein Band Gedichte von Christian Morgenstern, ein Band Hauptmann, Keyserling, D. H. Lawrence, Balzac … Sie hatte immer viel Verständnis für seine literarischen Neigungen und die Liebe zur Natur gehabt, anders als der Graf, und sie hätte ihn gerne als Literaten oder Weinbauern gesehen. Zugleich aber war sie zu schwach, als dass ihre Stimme auf Schloss Arnsberg etwas gegolten hätte. Sie litt unter dem Grafen, es war ein schweigsames, ergebenes Leiden; je grimmiger er war, desto stärker wurde auch sie in Mitleidenschaft gezogen, und anstatt dass sie also Tristans heimliche Wünsche unterstützte, war ihre Zerbrechlichkeit sogar zu einem der Gründe für ihn geworden, sich dem Willen seines Vaters zu fügen und Soldat zu werden.
Wie sollte er diesen Eltern jemals von Tuila erzählen können, ohne dass es zur Katastrophe kam?
Er legte den Brief zur Seite und öffnete den zweiten, in dem Gertrude Schultz ihr Erscheinen noch für diesen Vormittag ankündigte. Sie und sechs andere Damen beabsichtigten eine Kutschfahrt über Savaii. Zwei offene Kutschen samt Kutscher und Diener brächten sie mit, auch Verpflegung sei vorhanden, für eine Eskorte sei allerdings zu sorgen, ebenso für die Festlegung einer Route samt geeignetem Picknickplatz, und selbstverständlich wünsche man die Teilnahme Tristans.
Ihm war klar, worauf dieser geplante Ausflug hinauslief.
Wenn sieben Damen auf zwei offene Kutschen verteilt saßen, blieb ein Platz übrig, und das würde für ihn – da musste er kein Prophet sein – rein zufällig der neben Clara Hanssen sein. Die Kupplerinnen waren also weit davon entfernt aufzugeben.
Da das Schreiben der Gouverneursgattin in einem unmissverständlichen Ton gehalten war und Tristan davon ausgehen musste, dass Dr. Schultz oder Oberst Rassnitz zugestimmt hatten, blieb ihm nichts anderes übrig, als sich sofort um die Organisation zu kümmern. Er bestimmte einen Mann der Fita-Fita als berittene Begleitung, wählte eine Route und steckte sich zusätzlich zum obligatorischen Säbel noch eine Pistole ins Halfter – ein wenig widerstrebend. Es hatte seit vielen Jahren
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