Der Duft der grünen Papaya
Ende der Tafel mit technischen Details über seinen Dampfer. Mit dem Postschiff war aber auch ein katholischer Geistlicher nach Samoa gekommen, den man neben Tristan gesetzt hatte, ein Missionar, wie sich herausstellte.
Tristan mochte keine Missionare. In seinen Augen nahmen sie den Samoanern eine jahrtausendealte Religion und Lebensart, die sie zu dem gemacht hatte, was sie waren: heitere, unkomplizierte Menschen, die es mit drei, vier Grundregeln schafften zusammenzuleben. Die meisten Missionare dagegen waren humorlos und scheinheilig, und wenn sie sich auch oftmals nützlich machten, indem sie beispielsweise mit ihren medizinischen Kenntnissen die Kindersterblichkeit ein wenig verringerten, lehrten sie dennoch die falschen Dinge mit den falschen Mitteln. Sie kamen auf Samoa an, im Gepäck haufenweise Begriffe wie
Sünde, Todsünde, Rachegericht und Fegefeuer, eröffneten kleine Schulen und verängstigten dort schon die Kleinsten, während sie die längst zum Christentum bekehrten Eltern dahingehend bearbeiteten, dass diese von den Anglikanern zu den Lutheranern wechselten, von den Katholiken zu den Kongregationalisten oder von den Methodisten zu den Adventisten, je nachdem, welche Konfession sie selbst vertraten. Tristan, selbst Katholik, war davon abgestoßen, und er brachte den Missionaren niemals mehr entgegen als verhaltene Höflichkeit.
Anfangs beachtete Tristan den Geistlichen kaum, doch eingezwängt zwischen Clara ihm gegenüber und dem Gouverneur am Kopf der Tafel, die sich über das Wetter ausließen, hoffte er, mit dem Missionar ein halbwegs interessantes Gespräch führen zu können.
»Woher stammen Sie, wenn ich fragen darf, Hochwürden?« , begann Tristan.
Pater Löblich antwortete für einen Missionar ungewohnt schwärmerisch. In seine alten Augen stieg ein seltsamer Glanz, und sein längliches, etwas knochiges Gesicht nahm einen beinahe seligen Zug an, als er sagte: »Aus Hessen, genauer gesagt aus dem Taunus. Ich habe dort – mit Ausnahme der Zeit im Priesterseminar – mein ganzes Leben verbracht. Wälder über und über, Apfelgärten, hohe Wiesen, ein paar Burgruinen … Und die Heilquellen nicht zu vergessen. Waren Sie je dort?«
Tristan verneinte. »Meine Eltern waren einige Male in Bad Homburg zur Kur.«
»Das liegt nicht weit von dem Ort, wo ich meine Pfarrei hatte«, erklärte Pater Löblich. »Wenn ich nach Einbruch der Dunkelheit noch eine Runde spazieren ging, dann achtete ich immer auf den Wind, der in den Bäumen rauschte. Oh, ich liebe das, nirgendwo rauschen die Bäume wie dort – zumindest will ich das glauben. Die Luft ist etwas
kühler als anderswo, und immer streicht eine leichte Brise den Südhang hinauf. Herrlich! Während der Schiffspassage habe ich mich oft zurückgesehnt.«
Warum bist du nicht dort geblieben, das wäre für alle besser, dachte Tristan, und als hätte Priester Löblich seine Gedanken lesen können, sagte er: »Aber ich musste fort, es ging nicht anders. Zweiundsechzig Jahre habe ich im Taunus gelebt, davon fünfunddreißig als Pfarrer, jetzt wurde es Zeit, dass ich anderswo etwas für die Menschen tue, und wo kann man das besser als in der Missionsarbeit. Ich wollte nach Afrika, aber der Bischof meinte, das Klima würde mich umbringen, so hat es mich in die Südsee verschlagen. Vor der Abreise hat man mich noch schnell zum Ordinarius befördert, aber wohl nur, weil man davon ausgeht, dass ich nicht mehr zurückkomme. Wahrscheinlich stimmt das sogar. Nun, wo ich hier bin, weiß ich, dass ich richtig gehandelt habe. Ich fühle es. Hier ist mein Platz. Kennen Sie das Gefühl, Herr Leutnant? Das Gefühl, genau dort zu sein, wo man immer schon hinwollte, auch wenn man noch nichts davon wusste?«
Tristan legte sein Besteck ab und senkte den Blick. »Ja«, erwiderte er leise, »das Gefühl kenne ich.«
»Nicht wahr, es gibt nichts Schöneres? Ich bin erst gestern angekommen, habe lediglich den Gouverneur und einige der übrigen Repräsentanten kennen gelernt, also weiß ich noch gar nichts über diese Inseln und ihre Menschen. Doch ein paar Worte, die ich mit einem samoanischen Jungen gewechselt habe, der die Samoanische Zeitung zu den Weißen ins Haus bringt, haben genügt, dass ich mich in Samoa verliebt habe. Ich glaube, es schon zu kennen.«
Er tupfte sich mit der Serviette den Mund ab und lächelte. »Sie müssen mich für einen senilen alten Mann halten, weil ich so daherrede.«
Tristan blickte den Geistlichen mit ganz anderen Augen
an.
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