Der Duft der grünen Papaya
allem Chinesen, aber es waren auch drei Inder und drei Malaien dabei. Er musste doppelt so viel erklären und koordinieren wie ein gewöhnlicher Bauherr, und manchmal kam es ihm vor, als errichte er den Turm zu Babel, so viele Sprachen ertönten an der Palauli Bay durcheinander.
Die ganze Zeit über kamen immer wieder Insulaner vorbei, die das Haus bestaunten, denn seine Größe war ungewöhnlich für Savaii. Die meisten hielten sich aber – typisch samoanisch – nicht lange damit auf, und bald kamen die Mädchen nur noch, um die jungen Männer bei der Arbeit
zu beobachten, und alte Leute kamen, weil sie noch nie einen Inder gesehen hatten. Wer nicht kam, waren Tuila oder Tupu. Insgeheim hatte Tristan gehofft, Tupu würde sich ansehen, was er baute, würde mit ihm sprechen, ihm irgendeine Brücke aufzeigen, einen versöhnlichen Vorschlag machen … Und Tuila? Er sah ein, dass sie sich nicht offen über das Verbot ihres Bruders hinwegsetzen konnte, denn das hätte bedeutet, dass sie verstoßen werden würde. Sie wäre auf der ganzen Insel geächtet. Er durfte von ihr nicht verlangen, was er selber nicht bereit war zu tun: die Familie, die Herkunft, die Traditionen zu missachten und aufzugeben. Aber konnte sie nicht heimlich zu ihm kommen oder wenigstens durch ihre Mutter oder eine ihrer Freundinnen eine Botschaft schicken? Er hatte gedacht, sie verloren zu haben, sei das Schlimmste, was ihm passieren konnte, doch er stellte fest, dass ihn der Zweifel, ob sie ihn je so tief geliebt hatte wie er sie, noch härter traf. Dieser Zweifel drohte die schönen Erinnerungen zu zerstören, und in solchen Momenten war er nahe daran, das Haus, noch bevor es fertig war, wieder abzureißen, die Hochzeit schnell hinter sich zu bringen und Samoa für immer zu verlassen. Trotzdem baute er weiter, vielleicht aus Starrsinn oder aus einer naiven Hoffnung heraus – oder weil er sich und Tuila mit seiner Nähe quälen wollte, bestrafen, weil sie beide die einmalige Chance, die das Leben ihnen gab, vertan hatten.
Nach sechsundzwanzig Tagen war das Haus so gut wie fertig. Ein paar Arbeiter beschäftigten sich noch mit dem Dach, und die Veranda fehlte noch, doch die wollte er selbst bauen, ganz allein. Tristan ging zum Strand hinunter und betrachtete von dort aus sein künftiges Zuhause. Es war ein Prachtstück geworden, ein Südseepalast, ausschließlich aus dem Holz gebaut, das auch die Samoaner für ihre fale benutzten. Das Dach mit seinen Tausenden
von getrockneten Palmblättern erinnerte an den Baustil der Insulaner, und der gesamte Mittelteil war ein zwar überdachter, doch nach vorne und hinten offener und nur von Holzpfosten unterbrochener Raum, ähnlich einer Säulenhalle. Dem linken und dem rechten Flügel dagegen, beide jeweils so groß wie ein Haus, gab er Außenwände, Fenster und abgetrennte Räume, so dass der Palast eine Synthese aus samoanischen und abendländischen Elementen war und somit seine beiden Heimaten vereinte, die alte und die neue. Die Veranda würde er um das ganze Haus ziehen, und er würde einen Garten anlegen. Einen Garten mit Kokospalmen, riesigen Flamboyantsträuchern und rankenden Bougainvilleen.
Er blickte sich um und atmete tief die frische Luft ein, die der Passat in die Bucht drückte. Plötzlich verstand er, warum Löblich ihm diesen seltsamen Rat gegeben hatte. Keiner baute ein Haus, um einsam darin zu sein, eine Veranda, um allein darauf zu sitzen, und einen Garten, an dem sich niemand erfreute. Wenn Tristan sich das Leben in seinem Zuhause ausmalte, dachte er an Kinder, die um ihn herumsprangen, an Freunde und ungezwungene Geselligkeiten, an eine Frau neben sich, eine vertraute Hand, Nächte voller Nähe, an die Lichter, die ihn schon von weitem willkommen hießen, an gemeinsame Spaziergänge am Strand, wenn die Wale im Süden vorbeizogen …
Konnte Clara Hanssen diese Frau sein? Vielleicht wäre ja doch eine glückliche Zukunft mit ihr möglich, vielleicht würde sie sich unter seiner Obhut, seinem sanften Einfluss verändern, vielleicht würde alles, was ihm an ihr missfiel, verschwinden wie unter Zauberhand, ihre Einfalt, ihre Überheblichkeit, ihr seichtes, gefühlloses Geplauder. Er sah ihre rotblonden Haare, die so schön fallen könnten, wenn sie nicht unter diesem riesigen Hut versteckt wären; die hellen Augen, die wie ein Spiegel der seinen waren; die
Sommersprossen, die sie so natürlich machten. Nein, er liebte sie nicht, aber könnte er trotzdem ein zufriedenes Leben mit ihr
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