Der Duft der Mondblume
Die amerikanische Kultur hat überhaupt nichts mit der Inselkultur zu tun. Wir sind ein eigenständiges Volk mit einer sehr weit zurückreichenden Geschichte. Und schon von unseren ersten Herrschern wurde verfügt, dass wir Aina, unser Land, wertschätzen und schützen müssen, weil es die Quelle allen Lebens ist, die Mitte zwischen Himmel und Meer. Unser Land zeigt, wer wir sind und wofür wir stehen. Deshalb ist es so wichtig für uns.«
»Ich glaube, die Aborigines empfinden ähnlich«, meinte Catherine zögernd und versuchte, sich an die Geschichten zu erinnern, die sie zu Hause gehört hatte. Allerdings wusste sie nicht viel darüber.
»Wie auch die Indianer und andere indigene Völker. Es gibt erste Anzeichen eines Wandels zurück zur Achtung vor Land und Traditionen – allerdings ist das ein langwieriger und schwieriger Prozess. Etwa bei unserer Sprache, die auszusterben drohte, weil die amerikanische Regierung sie 1900 verboten hat. Zurzeit nimmt sie einen Aufschwung, es gibt hawaiianische Sprachschulen und Ähnliches. Wir unterrichten Otis sowohl in seiner eigenen Sprache als auch in Englisch.«
»Aber was passiert denn nun mit dem Land deines Onkels und deiner Tante?«
Kiann’e starrte aufs Meer hinaus. »Ich würde es dir gern erzählen. Du bist einfühlsam und scheinst wirklich verstehen zu wollen, worum es der Bewegung geht.«
»Welcher Bewegung?«, fragte Catherine, die allmählich begriff, dass Hawaii neben der oberflächlichen touristischen Postkartenansicht, die sie bisher kannte, noch eine ganz andere Seite besaß.
»Komm, setzen wir uns.« Kiann’e ließ sich auf den Sand nieder. Gemeinsam sahen sie auf das glatte, in der Morgensonne glänzende Meer hinaus. »Es gibt da eine Gruppe von uns, nichts Organisiertes mit Anführer oder so, die sich auf Kauai zusammengeschlossen hat. Wir wollen die Vertreibung einiger Familien verhindern, die auf alten Farmen leben, und einen Küstenstreifen retten, der auch bei Surfern sehr beliebt ist. Deshalb sind sie ebenfalls gegen die Baupläne.«
»Dort spielt sich also dasselbe ab? Na ja, wahrscheinlich ist es die reinste Goldgrube, wenn man auf einem Grundstück wie dem von deiner Tante eine Ferienanlage oder Wohnungen baut«, meinte Catherine. »Und die Regierung tut nichts dagegen?«
»Um Himmels willen, nein. Die geben den ausländischen Investoren Rückendeckung. Für sie zahlt sich das aus: Je mehr Gebäude, desto mehr Menschen, die Gebühren, Abgaben und Steuern zahlen, und umso mehr Tourismus. Es bringt ja kein Geld ein, wenn man das Land so bewahrt, wie es war und wie es die Hawaiianer von jeher genutzt haben.«
»Das nennt man wohl Fortschritt. Und was wollt ihr dagegen unternehmen?«, fragte Catherine.
»Wir haben schon einiges versucht, Petitionen eingereicht und so weiter, aber ohne Erfolg. Deshalb planen wir hier in Honolulu eine große Protestaktion gegen die Zwangsvertreibung. Wir fordern die Wahrung der Besitzrechte und eine schonende Entwicklung auf den Inseln.«
»Wow! Und wann?«
»Schon in ein paar Tagen. Am Iolani-Palast. Eleanor und Abel John kommen von Kauai herüber, und ich glaube, auch Mr.Kitamura.«
»Eleanor? Aber sie ist nicht von hier. Und macht in gewisser Weise dasselbe, oder? Auch sie fördert den Tourismus.«
Kiann’e nickte. »Ja. Doch zumindest hat Eleaonor ein Gespür für die alte hawaiianische Kultur, und sie gibt Einheimischen Arbeit. Tourismus an sich ist ja nichts Schlechtes, wenn er unsere Kultur angemessen zeigt. Aber wenn man mit Aloha und Hula-hula Kühlschränke oder Autos verkaufen will, würdigt man sie herab.«
»Hula-hula? Kiann’e, du tanzt für Touristen!« Catherine lächelte, weil sie fand, dass ihre hawaiianische Freundin allzu streng war.
Kiann’e breitete die Arme aus. »Ich weiß, ich weiß. Immerhin versuche ich den Leuten die klassischen und traditionelleren Formen zu zeigen und nicht die anzüglichen oder sentimental verwestlichten, die sie von Schlagersängern und aus Hollywood-Filmen kennen.«
»Du hast gesagt, vielleicht kommt auch Mr.Kitamura – ich würde mich gern mit ihm treffen. Weißt du, ich habe eine Kamera von ihm gekauft, aber sie ist ein bisschen kompliziert, und ich könnte eine Einführung gebrauchen. Außerdem würde ich Eleanor gern wiedersehen«, versuchte Catherine ihre Freundin mit einem Themenwechsel zu beschwichtigen.
Doch Kiann’e ließ sich nicht ablenken. »Komm zu der Demo! Uns unterstützen eine Menge Leute hier. Auch Lester will unbedingt dabei
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