Der Duft der Rosen
sie die Hitze zusätzlich erschöpft hatte. Nun war es spät, und sie wollte schlafen.
Sie legte sich wieder hin und zog die Bettdecke bis zum Kinn. Nun, da sie das Geschehene besser verstand, würde der Traum nicht wiederkommen. Sie schloss die Augen, doch die Minuten verstrichen, ohne dass sich der Schlaf einstellte.
Stattdessen wartete sie und lauschte auf den Klang von Miguels Arbeitsschuhen draußen vor der Tür. Weitere Minuten vergingen. Ganz allmählich wurden ihre Augenlider schwer. Ihr Körper entspannte sich auf der Matratze, und sie schlummerte ein.
Es war die Kälte, die sie weckte, ein eisiger Hauch, der ihr durch die Knochen fuhr. Sogar um diese späte Zeit war es warm draußen. Wie konnte in ihrem Schlafzimmer eine solche Kälte herrschen? Ihre Zähne klapperten. Sie zog die Decke über sich und griff nach dem dünnen gelben Überwurf, der am Fußende gefaltet lag.
Ihre Finger umklammerten den Stoff. Nun hörte sie auch die Geräusche … das gespenstische Stöhnen, das Quietschen und Knarren, als ginge jemand über die Dielen im Wohnzimmer. Der Duft von Rosen stieg ihr in die Nase. Er wurde stärker, verdichtete sich zu einem strengen, süßlichen Gestank, der ihr in die Nase stieg und ihre Kehle reizte.
Sie schluckte und saß vor Angst bewegungslos da, mit der Hand auf dem Überwurf. Ihr Blick wanderte ans Fußende des Bettes, und ihr ganzer Körper versteifte sich. Dort war etwas. Ein milchiges, verwaschenes Etwas, durch das sie fast hindurchsehen konnte und das vage an die Umrisse einer Person erinnerte.
Sie nehmen dir dein Baby, wenn du nicht fortgehst. Sie töten dein Baby.
Maria wimmerte.
Dios mio!
Ihre Nackenhaare stellten sich auf, und ihre Hand begann zu zittern. Die Knöchel wurden weiß, als sich die Finger in den Überwurf verkrampften.
Sie nehmen dir dein Baby. Sie töten dein Baby, wenn du nicht fortgehst.
Maria schloss die Augen, doch auch hinter ihren bebenden Lidern sah sie den Schatten. Ein Kind, vielleicht acht oder neun Jahre alt. Es schwebte und bewegte sich leicht am Fußende des Bettes. Ein kleines Mädchen, der Stimme nach zu urteilen, doch sie konnte nicht sicher sein.
Es ist nicht real, sagte sie sich und erinnerte sich daran, was Dr. James gesagt hatte. Es existierte nur in ihrer Vorstellung.
Sie wisperte ein leises Gebet, das die Gestalt vertreiben sollte, und ließ ihre Augen geschlossen, solange sie es wagte. Sie wiederholte das Gebet und rief verzweifelt die Muttergottes an. Als sie die Augen öffnete, sah sie, dass ihr Gebet erhört worden war.
Die merkwürdigen Geräusche verstummten allmählich. Der strenge Geruch wurde schwächer und verwandelte sich in einen feinen, fast beruhigenden Duft. Von dem eisigen Hauch war nichts mehr zu spüren, die Temperatur war wieder normal.
Doch noch immer schlug ihr das Herz bis zum Hals und pochte gegen ihre Rippen. Ihre Hände waren klamm, der Mund fühlte sich trocken an. Sie zuckte zusammen, als ein anderes Geräusch an ihr Ohr drang, ein vertrautes Schlurfen auf der hinteren Verandatreppe und dann der Schlüssel, der ins Schloss fuhr.
Miguel war zu Hause.
Maria schloss die Augen. Entschlossen, nicht zu weinen, biss sie sich auf die bebenden Lippen.
Michael James saß hinter seinem Schreibtisch und lauschte der abenteuerlichen Geschichte, die die junge Latina ihm erzählte. Maria Santiago war in dieser Woche bereits zweimal bei ihm gewesen, doch keine dieser Sitzungen hatte sich als sonderlich erfolgreich erwiesen.
“Ich habe ihn gesehen, Dr. James. Letzte Nacht habe ich den Geist mit eigenen Augen gesehen.
Un espectro.
Ich bilde mir das nicht ein. Ich sah ihn mit meinen eigenen Augen.”
“Das war kein Geist, Maria. So etwas gibt es nicht. Sie hatten eine Panikattacke. Das ist nicht ungewöhnlich. Es gibt viele Menschen, die zu irgendeinem Zeitpunkt in ihrem Leben Angstattacken erleiden. Normalerweise hätte ich Ihnen etwas verschrieben – eine kleine Dosis Xanax vielleicht, damit Sie sich entspannen, und etwas, damit Sie schlafen können. Doch in Anbetracht Ihrer fortgeschrittenen Schwangerschaft …”
“Ich brauche Ihre Medikamente nicht! Da ist ein Geist in meinem Haus, und all die dummen Fragen, die Sie mir stellen, werden ihn nicht vertreiben!”
Er achtete darauf, ruhig zu klingen. “Es gibt gute Gründe für diese Fragen, Maria. Wir versuchen Ihre Vergangenheit zu erforschen. Wir müssen wissen, ob Ihnen etwas in Ihrer Kindheit zugestoßen ist. Etwas, das nicht wichtig scheint, es jedoch ist. In
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