Der Duft der roten Akazie
Fortunes Bett verharrte. David hatte eine große Bahn Leinwand für den Transport der Leiche mitgebracht, die er nun mühsam ins Zelt schleppte. Der Wachmann beobachtete ihn gelangweilt. Im nächsten Moment blinzelte er und richtete sich auf.
»Dich kenne ich doch«, rief er.
David nickte. »Ich habe meinen Vater gesucht – Mr Fortune.«
Der Wachmann runzelte die Stirn, als habe er die Begebenheit anders im Gedächtnis. »Dann ist das da deine Mutter?«, fragte er verwirrt und sah Ella an.
»Stiefmutter«, erklärte David.
Der Wachmann grinste. »Du kleiner Glückspilz.«
Als der Pfleger die Stimmen hörte, hob er den Kopf und wollte bei Davids Anblick aufstehen. Aber Eddie bedeutete ihm sitzen zu bleiben.
»Bemühen Sie sich nicht, alter Junge. Wir kommen schon zurecht.«
Der Mann zögerte. Sein Geltungsdrang focht einen Kampf mit der Tatsache aus, dass er müde und überarbeitet war. Zum Glück gewann Letzeres die Oberhand, und er sank wieder auf seinen Stuhl. Eddie und David traten an Ellas Seite und verharrten dort mit der angemessenen Pietät. Die meisten Patienten in der Nähe schliefen oder taten zumindest so, denn niemand wird gern an seine eigene Sterblichkeit erinnert – insbesondere dann, wenn er selbst an der Schwelle des Todes steht. Nur ein älterer Mann ein Bett weiter beobachtete sie aus tief liegenden, aber hellwachen Augen.
Eddie warf Ella achselzuckend einen Blick zu. Sie konnten nichts weiter tun, als zu hoffen, dass er das Interesse verlieren würde.
David breitete die Leinwand in dem schmalen Gang zwischen den beiden Betten aus. Dann näherte er sich Mr Fortunes Kopf, während Eddie sich ans Fußende stellte. Sie sahen Ella an.
»Bereit?«, fragte Eddie leise.
Sie holte tief Luft. War sie bereit? Das Herz klopfte ihr bis zum Halse.
»Los, Cinderella«, sagte eine belegte Stimme hinter ihr. »Oder wollen wir uns von Moggs kleinkriegen lassen?«
Sie schaute Eddie in die Augen und nickte.
Die beiden Männer hievten Mr Fortune vom Bett, um ihn auf das provisorische Leichentuch auf dem Boden zu legen. Es war totenstill.
Bis Ella zu schreien anfing.
Das Geräusch war so ohrenbetäubend und kläglich, dass es von den Wänden widerzuhallen schien. Einige Patienten wimmerten vor Angst. Andere setzten sich auf und kreischten wie die Wahnsinnigen. Schluchzend taumelte Ella, offenbar von Trauer übermannt, den Gang entlang und zerrte an ihren Kleidern.
Der Pfleger wurde blass und sprang auf. Dabei stieß er einen Eimer neben sich um, sodass sich übel riechende Flüssigkeit auf den Boden ergoss, worauf die Patienten in der Nähe zu murren begannen. Auch der Wachmann war aufgestanden. Allerdings galten seine Blicke nur Ella. Sonst schien ihn nichts zu interessieren. Inzwischen riss sie so heftig an ihrem Kleid, dass die Knöpfe ihres Mieders in alle Richtungen flogen. Der Stoff klaffte auseinander, sodass ihr weißer, wohlgerundeter und vor Erschütterung wogender Busen zu sehen war. Sie schien aus dem Zelt laufen zu wollen, stolperte aber und prallte mit dem Wachmann zusammen. Dieser umfasste fest ihre Taille und nützte die Gelegenheit, seinen Körper an sie zu pressen. Er stank so nach Zwiebeln und Schweiß, dass Ella schon befürchtete, sie könnte ernsthaft zu schreien beginnen.
Im nächsten Moment war es vorbei. Eddie entzog sie dem Griff des Wachmanns und hielt sie fest. Einige beruhigende Worte sorgten dafür, dass sie benommen nickte. Der Wachmann brummte, nun würden sie alle in Schwierigkeiten geraten. Und tatsächlich rannten einige Uniformierte auf das Lazarett zu. Der Pfleger wischte, begleitet vom Feixen der Patienten, die von ihm verursachte Pfütze auf, während David neben Mr Fortunes Bett die Leiche liebevoll in Leinwand wickelte.
»Was ist hier los?«, fragte eine Stimme. Die Polizisten blickten sich argwöhnisch im Zelt um.
Der Wachmann wies mit dem Kopf auf Ella. »Die Witwe hatte einen kleinen Anfall, Sergeant. Sie sind gekommen, um die Leiche abzuholen.« Er fügte noch etwas im Flüsterton hinzu.
Als der Sergeant ihn angewidert musterte, hatte er Ellas vollste Zustimmung. »Wie heißt der Tote?«
»Fortune.« Der Wachmann lehnte sich zurück und pflückte etwas zwischen seinen Zähnen heraus. »Aber heute war ihm Fortuna offenbar nicht gewogen.«
Der Sergeant wandte sich an Ella und die beiden Männer, die ihre Last mit feierlichen Mienen in Richtung Ausgang trugen. Ella folgte, die Hand vors Gesicht geschlagen.
Der ältere Patient beobachtete sie noch
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