Der Duft der roten Akazie
still.
Ella legte sich neben ihn, zog einen Teil der Decken über sich und war sofort eingeschlafen.
Das Wasser lag reglos wie Glas. Ella hörte sich selbst schreien. Ned war da. Seine dunklen Augen funkelten wild. Er wollte ihr helfen, obwohl er wusste, dass sie ihn auch töten würden. Sein Mund erinnerte an eine dunkle Höhle. Sie sah Blut auf seinem Gesicht. Die Männer hatten Spaß daran, jemanden umzubringen. Sie lachten, als sie Ned packten und ihn in die Lagune warfen. Seine Arme und Beine waren schlaff wie bei einer Lumpenpuppe und drehten sich in der Luft. Sein Kopf hing herab. Er landete mit einem gewaltigen Aufplatschen. Wellen breiteten sich kreisförmig aus und schwappten ans Ufer. Dann war es wieder ruhig, und nichts wies mehr auf die Stelle hin, wo Ned versunken war. Darauf, dass es ihn je gegeben hatte.
Ella beobachtete, wie die Sonne aufging. Eine fahle Scheibe, die im Dunst schwebte. Derselbe Dunst waberte zwischen den Bäumen und dicht über dem Boden, sodass die Welt gespenstisch weiß wirkte.
Da ihr von der Anstrengung der gestrigen Nacht noch jeder Knochen im Leibe wehtat und ihre Muskeln bei der kleinsten Bewegung protestierten, blieb sie liegen und ließ ihre Gedanken treiben wie Nebelschwaden.
Der Traum war noch da, diesmal jedoch nicht nur als Gefühl, sondern in allen Einzelheiten.
Ned war tot, ermordet an Seaton’s Lagune. Sie hatte nach einem Mann gesucht, der nicht mehr existierte.
Adam bewegte sich stöhnend. Mühsam stützte Ella sich auf einen Ellbogen und betrachtete sein Gesicht. Es war noch buntscheckiger als gestern, und die nicht verfärbten Stellen waren bleich und angespannt vor Schmerz und Erschöpfung. Sanft berührte sie seine Wange.
»Alles ist gut. Wir sind in Sicherheit in Paddys Lager. Wie fühlst du dich?«
Er grinste schief, ohne die Augen zu öffnen.
»Dumme Frage.« Sie lachte über sich selbst. »Möchtest du etwas essen oder trinken?«
Er schüttelte den Kopf.
»Dann schlaf weiter. Es ist noch früh.«
Der Dunst vor dem Zelt wurde von einer kurzen, heftigen Windböe ergriffen. Paddys mageres, schmutziges Gesicht erschien im Eingang. Ella zuckte zusammen. Adam schlug ein Auge auf. Als er Paddy erkannte, schloss er es mit einem Aufstöhnen wieder.
»Ich habe den Kessel aufgesetzt, meine Dame«, verkündete der kleine Mann grinsend. »Der Tee ist gleich fertig.«
»Danke, Paddy«, stieß Ella hervor.
Er nickte und schlich davon.
»Wir sind einem Geistesschwachen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.« Adam seufzte tief.
Aber Ella schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, dass er verrückt ist«, widersprach sie mit Nachdruck. »Ich denke, Paddy ist auf seine Weise ziemlich schlau.«
Als Adam schwieg, wusste sie, dass er wieder eingeschlafen war. Sie musterte ihn besorgt. Wie sollte er sich in einer Woche so weit erholen, dass sie aufbrechen konnten? Eigentlich hätte er in ein richtiges Bett gehört, mit ordentlicher Ernährung und guter Pflege, nicht hierher! Und da ein Preis auf seinen Kopf ausgesetzt war, blieb ihm vielleicht nicht einmal eine Woche zur Genesung. Wenn es ums Geld ging, vergaßen viele Menschen ihr Gewissen. Nur ein Hinweis, ein Wort war nötig, und Adam war verloren.
Ächzend kroch Ella aus dem Zelt und streckte Muskeln, von deren Existenz sie bis zu dieser Nacht nichts geahnt hatte und auf die sie liebend gern verzichtet hätte. Sie säuberte sich, so gut sie konnte, verrichtete im Gebüsch ihre Notdurft und ging dann zu Paddys Feuer hinüber.
Als der kleine Mann sie angrinste, kamen einige Zahnlücken in Sicht. Seine Haut war aschfahl und wirkte wie mit einer monatealten Schmutzschicht überzogen. Auch sein Geruch hatte sich über Nacht nicht gebessert. Aber Ella setzte sich, nahm den Becher, den er ihr reichte, und bedankte sich.
Die Stille wurde vom Ruf einer Schopftaube durchschnitten, der durch den Busch hallte. Irgendwo zwischen den Bäumen war eine Axt zu hören. Doch hier waren sie gut versteckt und in Sicherheit.
»Wie heißt dieser Ort?«, fragte sie Paddy neugierig, während sie ihren Tee trank.
Er bedachte sie mit einem hohlen Grinsen. »Er hat keinen Namen«, erwiderte er. »So wie ich.«
Ella runzelte die Stirn. »Aber du heißt doch Paddy, oder?«
Er schüttelte den Kopf. »So nennen sie mich, weil ich Ire bin. Alle Iren heißen Paddy. Nun bin ich schon so lange Paddy, dass ich meinen richtigen Namen vergessen habe. Mikey kannte ihn, und Mikey ist fort.« Er blickte auf, und seine Miene erhellte sich.
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