Der Duft der roten Akazie
»Adam, mein Junge, lass mich rein.«
Es war zwar eher ein Knurren, doch Ella erkannte die Stimme sofort. Vor Schreck verschlug es ihr die Sprache, und sie starrte Adam aus großen Augen an, während er entsetzt die Tür betrachtete. »Ich wollte es dir erzählen. Ich dachte, ich hätte auf dem Pferdemarkt Eben gesehen, hielt es aber für einen Irrtum. Oh Adam, lass ihn nicht rein!«
Er erwiderte ihren ängstlichen Blick und grinste spöttisch. »Das kann ich nicht, Ella. Immerhin ist er mein Bruder.« Er holte tief Luft und öffnete.
Groß und dunkel ragte Eben im Türstock auf. Sein wölfisches Grinsen blitzte durch den schwarzen Bart. Er trug eine braune Jacke und eine Reithose, beides gut geschnitten. Um seinen Hals war ein gelber Seidenschal geschlungen, und er hatte hohe schwarze Reitstiefel an den Füßen. Er sah aus wie ein Goldgräber, der einen reichen Fund gemacht hatte, was auch jeder auf den ersten Blick erkennen sollte.
»Was willst du?«, fragte Adam argwöhnisch. Er stand in der Tür und versperrte Eben den Weg. Bekleidet war er nur mit seiner Hose, und das blonde Haar fiel ihm zerzaust über die Schultern. Die Blutergüsse auf seinen Rippen waren wegen der sonnengebräunten Haut kaum noch zu sehen.
»Begrüßt man so seinen Bruder?«, gab Eben, immer noch lächelnd, zurück. Sein Blick wanderte über Adams Kopf hinweg zu Ella, die sich im Bett zusammenkauerte. Sein Grinsen wurde noch wölfischer. »Hallo, Adams Frau.«
Sie schwieg.
»Was willst du?«, wiederholte Adam, doch nun klang seine Stimme drängend, als ahne er, dass etwas im Argen lag.
»Nancy und ich waren oben im Norden«, erwiderte Eben im Plauderton. »Wir dachten, wir reiten auf dem Landweg nach Sydney.«
»Warum habt ihr es nicht getan?«
Eben zwinkerte und versetzte Adam plötzlich einen kräftigen Stoß gegen die Schultern, dass dieser unwillkürlich zurückwich und seinen Bruder ins Zimmer ließ. »Du wirst langsam, mein Junge«, spöttelte Eben. »Oder hast du dich gerade verausgabt?« Er stolzierte durchs Zimmer, schaute sich neugierig um und blieb neben dem Bett stehen.
Adam folgte ihm und baute sich mit finsterer Miene vor ihm auf. Da er im Dämmerlicht stand, das durch das schmale Fenster hereinfiel, bemerkte Eben zum ersten Mal seine Blutergüsse. »Hattest du eine Schlägerei? Du siehst irgendwie verändert aus.«
Ungeduldig schüttelte Adam den Kopf. »Es gab Schwierigkeiten, aber jetzt ist alles wieder in Ordnung. Wirst du mir endlich erklären, warum du nicht auf dem Landweg nach Sydney geritten bist, Ebenezer?«
»Warum? Weil etwas passiert ist. Ein glücklicher Zufall, könnte man sagen. Wir kamen zu einer Farm oben am Campaspe River, die Lochlyn heißt.« Bei diesen Worten musterte er Ella eindringlich, doch sie rührte sich nicht. »Die Leute dort waren ziemlich aufgebracht. Offenbar war die Dame des Hauses ein bisschen verwirrt. Reizend wie ein Engel soll sie gewesen sein. Doch sie und der Hausherr hatten eine kleine Auseinandersetzung, und da ist sie abgehauen. Einfach verschwunden. Als wir ankamen, wurde schon seit Wochen nach ihr gesucht, allerdings vergeblich. Es war, als hätte sie sich in Luft aufgelöst.«
Plötzlich war das Bett gar nicht mehr warm, und Ella spürte, wie eine lähmende Kälte Besitz von ihr ergriff. Lochlyn, hatte er gesagt. Lochlyn. Der Name hallte in ihrem Kopf wider wie ein Gedicht oder ein Lied. Als sie sich das Haar aus dem Gesicht streichen wollte, zitterte ihre Hand.
»Die Leute auf Lochlyn haben uns erzählt, der Ehemann der Dame sei nach Sydney zurückgekehrt. Sie kamen nämlich beide aus Sydney, und er hatte dort dringende Geschäfte zu erledigen. Also hat er seine Mitarbeiter mit der Suche beauftragt, doch sie haben sie nicht aufgespürt.«
»Worauf willst du hinaus?«, fragte Adam ruhig. Obwohl er seinen Bruder beobachtete, wusste Ella, dass seine Aufmerksamkeit ihrer Angst und ihrer Ahnung dessen galt, was nun geschehen würde.
»Geduld, Bruderherz! Ich komme gleich auf den Punkt. Ich bin nur so ausführlich, damit du meine Haltung verstehst. Wo war ich gerade? Oh ja. Der Mann will, dass seine Frau gefunden wird, jedoch ohne Aufsehen. Niemand soll erfahren, dass ihm die Frau davongelaufen ist. Vermutlich ist es ihm peinlich. Deshalb möchte er, dass sie in aller Stille zu ihm zurückgebracht wird. Und er ist bereit, für jede Information gut zu bezahlen.«
Eben fixierte Ella mit dunklen Augen. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass Adam sich näherte, konnte
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