Der Duft der roten Akazie
unter einer Decke? War er in der Lage, ihr etwas anzutun? Möglicherweise war sie wirklich so naiv, wie der Arzt gesagt hatte, denn sie traute es ihm einfach nicht zu.
»Mrs Seaton?« Er streckte die Hand aus, um ihr die Stufe hinunterzuhelfen.
Als Ella danach griff, hatte sie das eigenartige Gefühl, er könne durch die bloße Berührung die Worte des Arztes erahnen. Wie ihr im nächsten Moment klar wurde, wollte sie nicht, dass er vom Inhalt des Gesprächs erfuhr. Zuerst musste sie gründlich über alles nachdenken. Warum war sie sicher, dass er sich nicht strafbar gemacht hatte? Konnte sie nach so kurzer Bekanntschaft wirklich eine derart wichtige Entscheidung treffen? Sie riss sich los, schob sich an ihm vorbei und marschierte zum Tor.
Er folgte ihr. »Was ist los?«, fragte er ruhig.
Ella blieb stehen, um eine Pfütze zu überwinden. »Alles bestens«, entgegnete sie förmlich und eilte weiter. Der Kaffee hatte ihre Lebensgeister geweckt, sodass sie die Kälte kaum noch wahrnahm.
»Das glaube ich Ihnen nicht«, hörte sie seine Stimme hinter sich. »Aber wenn Sie es mir nicht verraten wollen, kann ich Sie nicht dazu zwingen.«
Ella hastete weiter. Nein, dachte sie, das kannst du nicht. Sie sorgte dafür, dass der Abstand zwischen ihnen groß genug war, um ein Gespräch zu verhindern. Am Gasthof angekommen, ging Adam, um nach Bess zu sehen. Sie wich seinem Blick aus. Adam und Nancy Ure, sagte sie sich. Wie sollte sie den beiden vertrauen?
In der Küche war Mrs Ure mit einer Hammelkeule beschäftigt und ließ das Hackebeil mit unwirschen Bewegungen auf den Knochen niedersausen. Ella versuchte, nicht zusammenzuzucken. Die schwarzen Augen funkelten genauso feindselig wie immer.
»War der Arzt heute nüchtern?«
»Absolut. Wir haben Kaffee getrunken.«
Nancy Ure schnaubte verächtlich. Ella trat ans Feuer und streckte die Hände aus. Was hatte Nancy mit den verschwundenen Gästen gemacht? Sie zerhackt wie die Hammelkeule? Ihre Hände begannen zu zittern.
Das Beil knallte weiter auf den Hackstock.
Ella musterte die Frau verstohlen und betrachtete ihre verhärtete Miene und den grausamen Zug um den Mund. Plötzlich wusste sie, dass der Arzt recht hatte. Nancy waren diese Verbrechen durchaus zuzutrauen. Ella holte tief Luft. Sie konnte auf einmal den nächsten Morgen kaum erwarten. Heute Nacht würde sie sicherlich kein Auge zutun.
Als Adam hereinkam und verkündete, er habe solchen Hunger, dass er Bess verschlingen könnte, lachte Kitty und ließ ihm von diesem Moment an keine Ruhe mehr. Sie hing ihm an den Lippen, und Ella war klar, dass das nicht am Inhalt seiner Worte lag. Außerdem merkte sie Adam an, dass es ihm auch aufgefallen war und ihn amüsierte. Ihr Gespräch von vorhin erschien ihr so unwirklich wie in einem Traum. Sie konnte daraus nur schließen, dass er mit ihr seinen Spaß hatte haben wollen. Und nun war eben Kitty an der Reihe.
Wenn wir morgen bei den Weatherbys sind, bleibe ich dort, beschloss Ella. Auch wenn sie mich nicht kennen. Alles ist besser, als mit Adam und Kitty unterwegs zu sein.
»Also fahrt ihr morgen los?«, unterbrach Nancy das Schäkern.
»Ja«, antwortete Adam. »Mrs Seaton und ich machen uns in aller Frühe auf den Weg.«
»Und Kitty auch«, murmelte Ella, in Gedanken versunken.
Zu spät bemerkte sie Kittys zornigen Blick. Erst jetzt wurde ihr klar, dass das Mädchen Nancy Ure ihre Reisepläne verheimlicht hatte. Ein drohender Ausdruck trat in Nancys schwarze Augen.
»Was soll das heißen?« Sie schaute zwischen den beiden hin und her. »Kitty geht nirgendwohin.«
Adam schwieg, während Ella sich auf ihrem Stuhl zusammenkauerte. Also blieb Kitty nichts anderes übrig, als selbst die Karten auf den Tisch zu legen. »Ich fahre nach Bendigo«, verkündete sie kühn. »Du kannst mich nicht daran hindern. Ich bin dir nichts schuldig.«
Langsam verzogen sich Nancy Ures Lippen zu einem grausamen Lächeln. »Wenn du glaubst, du könntest dich Adam an den Hals werfen, hast du dich verrechnet. Was will er mit einer kleinen Schlampe wie dir?«
»Ich bin keine Schlampe«, rief Kitty, das Gesicht gerötet vor Wut und Scham.
»Außerdem«, fuhr Nancy fort, ohne auf den Ausbruch zu achten, »kann ich mich nicht darauf verlassen, dass du dich nicht verplapperst. Also bleibst du da, damit ich dich im Auge behalten kann.«
»Nein«, flüsterte Kitty mit Tränen in den Augen.
Nun hatte Ella genug. »Sicherlich«, hörte sie sich mühsam beherrscht sagen, »hat Kitty das Recht
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