Der Duft der roten Akazie
haben. Ist das nicht so?«
In seinem Tonfall schwang eine Bitterkeit mit, die sie bei ihm noch nie gehört hatte, und ihr kam ein schrecklicher Verdacht.
»Adam«, begann sie leise. »Wollen Sie damit sagen, dass Sie mich bitten würden, für einen Tag Ihre Frau zu werden, wenn Sie die Taschen voller Gold hätten?«
Schon im nächsten Moment bereute sie ihre Worte, denn sie wollte es gar nicht wissen. Wie sollten sie weiter zusammen reisen, falls die Antwort Ja lautete? Sie würde sich von ihm trennen und einen anderen Weg finden müssen, die Farm der Weatherbys zu erreichen. Und wie sollte sie das ohne Geld bewerkstelligen? Sie war auf Adams Schutz und Freundschaft angewiesen und bereit, ihm das Gleiche zurückzugeben. Aber nicht mehr.
Vielleicht stand ihr die Ablehnung ins Gesicht geschrieben. Es konnte auch sein, dass er diese Fragen nur zum Zeitvertreib gestellt hatte. Denn als er weitersprach, war seine Stimme ruhig. »Hier wären wir.« Ella drehte sich um und stellte fest, dass sie vor Doktor Rawlins’ Haus standen.
Die Bretterhütte wirkte solider und besser abgedichtet als viele andere, an denen sie vorbeigekommen waren. Rings um das Haus verlief eine Hecke, und auf einem Schild waren Name und Beruf des Besitzers verzeichnet. Leider hing an dem Haus neben dem von Doktor Rawlins ebenfalls ein Schild, auf dem in großen Buchstaben »Bestattungen« stand.
Adam hielt Ella das Tor auf, folgte ihr jedoch nicht. »Ich hole Sie später ab«, murmelte er und zog wegen der Kälte die Schultern hoch.
»Gut«, entgegnete sie förmlich und kühl. Sie zog sich vor ihm zurück und verwies ihn auf seinen Platz. Etwas blitzte in seinen Augen auf, aber er wandte sich wortlos ab. Erleichtert blickte Ella ihm nach.
Erst als sie bereits an die Tür geklopft hatte, fielen ihr Kittys Worte ein, der Arzt sei ein Trinker. Sie sah sich um und war schon versucht, Adam zurückzurufen, doch sie tat es nicht. Im nächsten Moment öffnete sich die Tür, und der Arzt sah sie an. Soweit sie feststellen konnte, war er stocknüchtern.
»Kommen Sie herein und setzen Sie sich, meine Dame.« Doktor Rawlins machte Platz, damit Ella in das gemütliche kleine Wohnzimmer treten konnte. Ein Feuer brannte, und ein verführerischer Kaffeeduft lockte sie näher an den Herd, wo die Kanne stand. Während der kleine Mann zwei Tassen mit dem starken Gebräu füllte, wärmte Ella sich die Hände und schaute sich verstohlen um.
Im Raum herrschte eine behagliche Unordnung. Die meisten Flächen waren mit Büchern und Papieren bedeckt. An der gegenüberliegenden Wand hing das Porträt einer ernst dreinblickenden jungen Frau. Ein Schaffell verdeckte einen Türbogen, der vermutlich zum Schlafzimmer des Arztes führte.
»Leider habe ich weder Milch noch Zucker da.«
Ella wandte sich um und stellte fest, dass der Arzt ihr eine Tasse hinhielt. Als sie trank, beugte Doktor Rawlins sich vor und musterte sie mit beruflicher Neugier. »Ist Ihnen inzwischen wieder etwas eingefallen? Nun, das ist zu erwarten. Eines Tages kehrt die Erinnerung zurück, und dann ist die Wahrheit auf dem Tisch.«
Der Kaffee war wundervoll heiß und köstlich, sodass Ella ihn sich einen Moment auf der Zunge zergehen ließ, bevor sie antwortete. »Wahrscheinlich werde ich mich irgendwann an alles erinnern. Es ist nur …« Stirnrunzelnd hielt sie inne. Es war, als hätte Adams merkwürdiges Verhalten etwas in ihr wachgerufen, das sie erst jetzt in Worte fassen konnte. »Manchmal frage ich mich, ob es vielleicht das Beste ist, wenn ich mich nicht erinnere«, platzte sie heraus. »Ich habe Träume, kann mir aber nicht merken, wovon sie handeln. Zumindest nicht wirklich. Es ist wie der Duft eines Parfüms, der sich im Raum hält, nachdem die Trägerin längst fort ist. Ganz ähnlich ist es mit meinen Träumen. Es ist ein Gefühl, und zwar kein angenehmes …« Sie schüttelte den Kopf. »Verzeihen Sie, dass ich mich so unklar ausdrücke.«
Doktor Rawlins lehnte sich zurück. Sein Bauch wölbte sich unter der Weste, und seine Knopfaugen hatten plötzlich angefangen zu funkeln. »Hm. Haben Sie sich je überlegt, meine Dame, dass Ihr Verstand sich vielleicht gar nicht erinnern will? Manchmal macht man Erfahrungen, die ihn überfordern. Sie werden sich erst erinnern, wenn Sie bereit dazu sind.«
Ella fand, dass seine Worte sehr einleuchtend klangen, und dennoch … Entschlossen schüttelte sie den Kopf. »Es ist mir gleichgültig, wie schrecklich mein Erlebnis auch gewesen sein mag. Ich
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