Der Duft der roten Akazie
an ihr Ohr.
»Da, trinken Sie das.« Kittys Stimme klang müde und schicksalsergeben.
Ella trank das kühle, frische Wasser aus dem Becher.
»Adam holt einen Arzt«, fuhr Kitty fort. »Er ist schon seit einer Weile fort. Ärzte sind schwer aufzutreiben. Das musste man dem alten Doktor Rawlins zugutehalten. Mit ein bisschen Bargeld konnte man ihn immer aus seiner Hütte locken. Hier gibt es zwar viele Ärzte, aber die sind zu beschäftigt oder trauen sich abends nicht mehr aus dem Haus.«
Draußen ertönte Geschrei, gefolgt von murmelnden Männerstimmen und dem kehligen Lachen einer Frau.
Kitty warf einen ungehaltenen Blick in die Richtung, aus der der Radau gekommen war. »Gleich gegenüber ist ein Kaffeehaus. Wenigstens nennen sie es so. Viel Kundschaft. Die Wirtin, eine Mrs Jardine, war vorhin hier und hat sich erkundigt, ob sie helfen kann. Ich glaube nicht, dass sie es ehrlich gemeint hat, doch zumindest hat sie gefragt.«
Ella ließ Kittys Stimme über sich hinwegbranden. Sie fühlte sich verwirrt. Wo war der Himmel? Über ihr, wo normalerweise die Sterne schienen, befand sich nur eine schwarze Fläche. Im nächsten Moment wurde ihr klar, dass Adam ein Stück Leinwand mit einem Querbalken zwischen zwei Pfosten gespannt hatte, sodass eine Art Zelt entstand.
Durch die schmale Öffnung konnte sie sehen, dass jemand ein fröhlich flackerndes Feuer angezündet hatte. Aber Ella spürte seine Wärme nicht. Ihre Zähne klapperten, und ihr ganzer Körper erbebte von einer Kälte, die tief in ihre Knochen eingesickert zu sein schien.
»Hier.« Kitty breitete noch eine Decke über sie und steckte sie fest. »Adam kommt sicher bald zurück. Möchten Sie noch etwas Wasser?«
Ella schüttelte den Kopf. Sosehr sie sich auch bemühte stillzuhalten, das heftige Zittern wollte einfach nicht aufhören. Vielleicht musste sie sterben. Hieß das, dass sie ihren Mann nie wiederfinden und nie erfahren würde, wer sie war? Sie würde in geborgten Kleidern und mit einem geborgten Namen auf den Goldfeldern von Bendigo begraben werden.
»Da kommt er.« Kitty klang erleichtert. Sie kroch aus dem Zelt, und Ella vernahm Stimmen. Dann öffnete sich der Zelteingang erneut, und ein Fremder mit einer Laterne trat ein. Er war ziemlich seltsam gekleidet und trug eine schäbige schwarze Jacke und einen schwarzen Zylinder. Ella fand, dass das eine recht merkwürdige Aufmachung war, um mitten in der Nacht andere Leute zu besuchen.
Er stellte die Laterne ab, sodass es hell im Zelt wurde. Dann nahm er den Hut ab und kniete sich neben sie. Ella kam zu dem Schluss, dass er wie etwas roch, das man draußen im Regen gelassen und anschließend nicht richtig getrocknet hatte. Es war ein muffiger, unangenehmer Geruch, in dem außerdem noch Karbol und Pfefferminze mitschwangen. Die Manschetten seiner Jacke waren abgewetzt, und ein Knopf fehlte. Sein Haar war so platt an den Schädel gedrückt, das es wie festgeklebt wirkte.
Während er sie betrachtete, schien er hin- und herzuschwanken und wirkte an den Rändern verschwommen. Er hatte eine beeindruckende Tasche bei sich, der er ein Instrument entnahm, um ihr Herz abzuhorchen.
Etwas an ihm löste Erinnerungen in Ella aus. War es der Pfefferminzgeruch?
»Wie lange geht das schon so?«, fragte er mit ernster Stimme, die zu seinem langen, traurigen Gesicht passte.
»Es hat am späten Nachmittag angefangen«, antwortete Adam. »Ich war vor Ihnen schon bei zwei anderen Ärzten, aber die wollten nicht mitkommen.«
Der Arzt murmelte etwas von zu viel Arbeit und zu wenig fähigen Leuten. Dann fühlte er ihr den Puls und schaute ihr in die Augen.
»Delirium?«, brummelte er. »Und Fieber. Schüttelfrost. Kopfschmerzen?«
Ella nickte. »Ich hatte starke Kopfschmerzen«, flüsterte sie heiser. »Inzwischen sind sie besser geworden.«
»Übelkeit? Durchfall? Nein? Na, wenigstens etwas.« Er wandte sich an Adam, der in der Zeltöffnung stand. Sein Schatten hob sich vom Feuer ab. »Ich habe viele Patienten behandelt, seit ich auf den Goldfeldern bin. Alles von Durchfallerkrankungen bis zu Wasserblasen.« Er sah Ella noch einmal an. »Sie macht einen sehr geschwächten Eindruck. Wahrscheinlich hat sich eine leichte Erkältung deshalb zu etwas Schwerem ausgewachsen. Ich habe festgestellt, dass die meisten Goldgräber dauernd erkältet sind. Vermutlich eine Art Berufsrisiko auf den Goldfeldern.«
»Ist es ansteckend?«, fragte Kitty ängstlich.
Der Arzt drehte sich zu ihr um. »Hängt davon ab. Sie kann es
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