Der Duft Der Wüstenrose
unter und folgten Fanny zu den Praxisräumen.
Dort zogen sie ihr behutsam die Kleider aus. Fanny desinfizierte die Wunden, und obwohl sie nicht so tief waren wie damals bei Martha, hatte sie das grauenhafte Gefühl, das alles schon einmal erlebt zu haben. Und auch dieses Mal hatte sie das Gefühl, es wäre ihre Schuld.
Martha und Grace redeten auf Kajumba ein, aber sie blieb stumm. Fanny gab ihr etwas Chinin gegen die Schmerzen und bettete sie dann auf der Liege in Ludwigs Praxis.
Als sie auf die Veranda kam, hatte Maria den Tisch gedeckt und die Maisklößchensuppe fertig gekocht. Ihre Kinder waren nirgends zu sehen. »Wir sollten erst etwas essen, bevor wir übereilte Beschlüsse fassen. Die Jungs haben eine ordentliche Tracht Prügel kassiert und müssen heute ohne Essen ins Bett.« Maria teilte die Suppe aus. Und obwohl Fanny rein aus Trotz am liebsten nichts gegessen hätte, spürte sie doch, dass sie es ihrem Kind schuldig war, etwas zu sich zu nehmen.
Also löffelte sie schweigend ihre Suppe.
Maria starrte auf ihren Teller und sagte kein Wort, aber Fanny konnte ihr ansehen, dass sie sich sehr beherrschen musste, den Mund zu halten. Marias Brust wogte auf und ab, und immer wieder biss sie sich auf die Lippen, als wollte sie verhindern, dass ihr ein Wort entkam.
Erst als Fanny zwei Teller Suppe gegessen hatte, räusperte sich Maria.
»Er ist weg.«
»Ich verstehe nicht?«
»Mein Mann.« Maria wand sich wie unter Schmerzen. »Abgehauen. Er hat mich sitzen lassen.« Maria hatte Tränen in den Augen.
Fanny war sprachlos.
»Er ist mit einem siebzehnjährigen Ovambo-Mädchen nach Neuguinea, wo ihm ein Freund in der Niederlassung der Neuguinea-Kompagnie in Herbertshöhe Arbeit versprochen hat. Mein mir vor Gott angetrauter Ehemann wollte ein neues Leben anfangen.« Maria schluchzte erbärmlich, und obwohl es offensichtlich war, dass sie wirklich litt, war es für Fanny schwer, Mitleid zu empfinden. Bösartige Gedanken schossen durch ihren Kopf. Sie verstand Marias Mann nur allzu gut. Seine Frau war nicht nur dick und unerträglich langweilig, sondern dabei auch noch durchdrungen von dem Gedanken, dass sie allein wusste, was richtig und was falsch war. Es musste für ihren Mann geradezu eine Befreiung gewesen sein.
Du solltest dich schämen, dachte Fanny und bildete sich ein, Charlottes tadelnde Stimme zu hören. Der Mann war schließlich nicht gezwungen worden, Maria zu ehelichen, und sie hatte ihm drei Söhne geboren, unter großen Schmerzen, wie Fanny mittlerweile nur zu gut wusste. War denn das alles nichts mehr wert? Plötzlich spürte sie ihre Glasperlen, als ob auch die sie zu mehr Mitgefühl ermahnen wollten. War ihre Mutter vielleicht auch so eine Frau wie Maria gewesen, die mit ihren Kindern von ihrem Mann sitzen gelassen worden war? Zum allerersten Mal kam es Fanny in den Sinn, dass sie auch Geschwister haben könnte.
Maria bekam kaum noch Luft, so sehr wurde sie von Schluchzern geschüttelt. »Eigentlich wollte er nach Samoa, von wegen Südseeparadies und freie Liebe.«
Sie schnäuzte sich in ein Taschentuch, das sie aus ihrem Mieder holte. »Da hat er diese wunderbaren Jungens und verlässt sie. Du musst doch zugeben, dass sie normalerweise die reinsten Prachtkerle sind, oder etwa nicht?«
Doch Fanny sah nur Albert vor sich, wie er mit der Peitsche auf Kajumba einschlug, und brachte kein Wort über die Lippen.
»Ich habe mit deinem Mann vereinbart, dass er es dir nicht verrät, weil es so demütigend für mich ist und weil ich immer noch gehofft habe, mein Mann würde zurückkommen, würde merken, was er an mir hat. Würde sich nach seiner Heimat und nach seinen Söhnen verzehren.«
Das alles ging Fanny viel zu schnell. Ludwig hatte es also gewusst und vor ihr verheimlicht. Fanny merkte, wie die Empörung darüber ihr Blut in Wallung brachte. Wie oft hatte sie ihn gefragt, wann denn Marias Mann endlich käme, und jedes Mal hatte er mit den Schultern gezuckt und gemeint, das sei ihre Sache nicht.
»Verstehst du jetzt, warum es mir Ekel bereitet, wenn ich diese jungen Hottentotten-Dinger sehe, die nichts anderes im Hirn haben, als unsere guten Männer zur Rassenschande zu verführen, nur damit sie ausgesorgt haben? Ich wollte Ludwig und dich vor so etwas beschützen, das war alles. Und der arme Albert, nun ja, er hat wohl doch mehr mitbekommen, als für ihn gut ist. Ich versichere dir, dass so etwas nicht mehr vorkommen wird.«
Fanny wusste nicht, was sie sagen sollte. So vieles schwirrte
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