Der Duft Der Wüstenrose
selbst sehen, wie schlecht es ist.«
Martha begleitete Fanny in ihr Schlafzimmer und half ihr, sich hinzulegen. Im ersten Moment war es eine große Erleichterung, aber dann kam die nächste große Schmerzwelle, und Fanny hatte das Gefühl, im Liegen zu ersticken. Sie setzte sich mit Marthas Hilfe wieder auf, atmete hektisch und versuchte sich damit zu trösten, dass am Ende von alldem ihr wunderschöner Sohn in ihren Armen liegen würde.
»Martha, dein erstes Kind, wie lange hat das gedauert?«
Martha zuckte die Schultern, als wäre das unwichtig. »Einen Tag und eine Nacht, es wollte nicht herauskommen. Ich musste dann einen Tee trinken aus tlorab , der hat das Kind dann herausgezogen. Es war ein kluges Kind, denn es wollte nicht herauskommen, weil es nicht von mir getrennt werden wollte.«
Fanny schämte sich, dass sie Martha niemals vorher nach ihren Kindern gefragt hatte, doch dann musste sie sich schon wieder zusammenkrümmen und flach atmen, um den Schmerz auszuhalten. Und das einen ganzen Tag und eine Nacht, nur damit einem das Kind dann doch weggenommen wurde. Sie fragte sich, wie Martha das noch ein zweites Mal überleben konnte. Fanny hatte jetzt schon genug davon. Warum, fragte sie sich, waren die Menschen noch nicht ausgestorben, wenn die Geburt so dermaßen schmerz haft war? Wer würde denn jemals ein zweites Kind gebären wollen? Charlotte, dachte sie, Charlotte, das hätte dir gar nicht gefallen.
Martha hielt sie fest und rief nach Grace. Die beiden nahmen sie in die Mitte und liefen mit ihr über den Hof, zu den Ställen, immer rundum. Jedes Mal, wenn Fanny von einer Wehe überrollt wurde, halfen sie ihr und stützten sie. Martha sang ihr etwas vor, und Fanny versuchte es nachzusingen, aber es misslang ihr.
So schritten sie Stunde um Stunde und waren so vollkommen in ihr Gehen und Singen versunken, dass ihnen entging, wie sich am Himmel die Wolken zu grauschwarzen Haufen zusammenballten.
Während sie gerade wieder mitten auf dem Hof standen und warteten, dass eine besonders schwere Wehe verebbte, fielen plötzlich Tropfen vom Himmel.
Alle drei schauten verdutzt nach oben, schon wurden es mehr, dann immer mehr Tropfen, bis das Wasser wie ein Vorhang vom Himmel stürzte. Innerhalb weniger Sekunden waren sie alle drei nass bis auf die Haut. Fanny genoss die Kühle des Regens, und das Geräusch der Tropfen lenkte sie von ihrem Schmerz ab.
Sie schleppten sich zur überdachten Veranda, auf der das Wasser auch schon stand. Als sie dort keuchend stehen blieben, schüttelte Grace den Kopf. »Das ist ein schlechtes Zeichen«, meinte sie, »Regen bei der Geburt bedeutet, dein Kind wird dich viel zum Weinen bringen.«
Martha stieß Grace in die Seite. »Das ist die Art von Unsinn, der die Nama zugrunde gerichtet hat. Wir Himba sagen, Regenkinder sind Lieblinge von Mukuru .«
Das alles war Fanny gerade herzlich egal, denn nach der ersten Erleichterung dachte sie an Ludwig. Wenn es so wei terregnen würde, dann waren einige Riviere ganz sicher unpassierbar. Sie betrachtete Martha und Grace. Was, wenn etwas schiefging? Ludwig würde verrückt werden, wenn diesem Kind etwas zustieße. Sie berührte ihre Perlen, die sich auch im Regen noch unglaublich heiß anfühlten. Es muss doch etwas geben, das ich schaffe, dachte sie dann. Aber sie hatte noch nicht zu Ende gedacht, da krampfte sich ihr Unterleib schon zusammen, als ob ihn eine eiserne Riesenfaust zerquetschen wollte, und als der Krampf nach ließ, wurden lange scharfe Messer quer durch ihre Eingeweide gezogen. Ihr wurde übel. Sie hielt sich an dem Mauersturz der Veranda fest und atmete.
Die Hand mit den Perlen streckte sich nach dem Regen aus, dann war es, als würde jemand sie an der Hand in den Regen ziehen, der unentwegt auf sie niederklatschte und alles an ihr zum Dampfen brachte. Sie trat hinaus in den Hof, lief wie von selbst weiter. Ließ die Hand ausgestreckt, auch als sich wieder alles in ihr so fest zusammenzog, dass sie nach Luft schnappte, nur um noch vor dem Ausatmen einen Dolchstoß in den Rücken zu bekommen. Sie ging um ihre immer noch ausgestreckte Hand herum, als ob sie der Mittelpunkt der Welt wäre, sie drehte sich schneller um diese Hand, schneller und schneller, bis sie ihren rechten Arm ebenfalls ausbreitete und nicht mehr die linke Hand, sondern ihr Körper der Mittelpunkt wurde, um den sie kreiste, so schnell, dass die Tropfen aus ihren nassen Kleidern nach außen spritzten, und je stärker der Schmerz war, desto schneller
Weitere Kostenlose Bücher