Der Duft Der Wüstenrose
gar nicht mehr auf, sich zu küssen, sie schmiegten sich aneinander, und ihre Körper verschmolzen.
Fanny sah peinlich berührt weg von ihren Eltern zum Wasserloch, wo gerade eine Horde junger Warzenschweine die anderen Tiere erbarmungslos wegscheuchte.
In keiner einzigen Geschichte, die sie sich in den vielen Nächten im Kloster ausgedacht hatte, war ihre Mutter so jung und ihr Vater ein Herero gewesen. Und niemals hätte sie gedacht, dass sie Mitleid mit ihrer Mutter haben würde. Doch es war deutlich, dass Saherero sie nicht so sehr liebte wie Luise ihn. Und das, so wurde Fanny klar, war ganz sicher den verfluchten Perlen zu verdanken.
Die Felsen unter Fanny begannen zu schwanken, außer sich vor Angst taumelte sie zu dem Baumstamm und klammerte sich an ihm fest. Trotzdem wurde sie heftig hin und her geschaukelt und plötzlich auch hoch und runter. Ihr wurde schwindelig, und sie schloss ihre Augen.
Als Fanny sie wieder öffnete, umklammerte sie einen Schiffsmast, und es war heller Tag. Um sie herum flanierten eng geschnürte Damen in langen, weißen Spitzenkleidern und großen Strohhüten über das Deck, aber niemand schien sie sehen zu können.
Direkt vor ihr auf zwei Holzliegestühlen lagen Luise und ihre Mutter. Luise war so blass, dass ihre blauen Adern überall durch die Haut schimmerten. Ihre Mutter redete pausenlos auf sie ein, aber Luise gab keine Antworten. Trotz ihrer Schwangerschaft trug sie immer noch ein Korsett, und von einem schwellenden Bauch war nichts zu sehen.
»Kindchen, es ist zu deinem eigenen Besten. Was sollst du denn mit einem Bastard in deinem Alter, du hast doch dein Leben noch vor dir. Du bekommst das Kind, wir geben es den Nonnen, und dann fahren wir wieder zurück und suchen dir einen guten Missionar als Ehemann. Du solltest lieber Gott und deinen Eltern dafür danken, dass wir diese Lösung für dich gefunden haben, anstatt hier so griesgrämig herumzusitzen. Ach, ich fühle mich etwas unpässlich und sollte etwas trinken. Sei ein Schatz und hole mir ein Glas Tee.«
Luise stand auf, und Fanny sah ihre Mutter zum ersten Mal im hellen Tageslicht. Luise war zwar bleich und hatte schwarze Ringe unter den Augen, aber sie war aus gesprochen hübsch, mit hohen klaren Wangenknochen und einer kurzen schmalen Nase. Ihre Augen schimmerten grün und golden wie eine mit Butterblumen übersäte Almwiese.
Ich sehe ihr kein bisschen ähnlich, dachte Fanny und musste an Lottchen denken.
Sie folgte Luise in die Tiefen des Schiffs, das deutlich primitiver war als das, auf dem sie nach Deutsch-Südwest gereist war.
Nach einer Weile hatte sie Luise aus dem Blick verloren, sie wunderte sich, dass die Treppe so lang war, denn sie schien niemals enden zu wollen.
Sie lief und lief.
Ich muss doch schon längst bei Orpheus in der Unterwelt angekommen sein, überlegte Fanny und ging immer weiter.
Orpheus begegnete ihr nicht, aber der Ort, an dem sie landete, hatte durchaus etwas von Unterwelt. Denn am Ende der Treppe erwartete sie in einer Winternacht das Kloster Reutberg.
Der Frost fraß sich durch Fannys Kleider tief bis in die Knochen. Eine Kutsche hielt vor der Pforte – meine Mutter, wusste Fanny sofort. Endlich werde ich erfahren, was sie in dem Moment gefühlt hat, als sie mich weggegeben hat.
Ihre Mutter stieg, in einen dunklen Wollmantel gehüllt, aus der Kutsche. Fanny konnte Luises weißes Gesicht in der Dunkelheit gut erkennen. Im Arm hielt sie ein Bündel. Das bin ich, dachte Fanny, und der Hals schnürte sich ihr zu.
Luises Miene blieb starr, keine Träne, kein Bedauern, als sie das Bündel ohne jedes Zögern auf den Boden vor die Pforte legte und dann zurück zur Kutsche eilte.
Fanny konnte kaum schlucken. War es so einfach? Hatte sie ihrer Mutter nicht einmal so viel bedeutet, dass sie ihr einen Abschiedskuss geben wollte?
Oder hatte sie das schon vorher in der Kutsche getan und wollte nur deshalb so schnell fort, weil es so eine schwierige Entscheidung war?
Doch da drehte sich Luise kurz vor der Kutsche abrupt um. Sie atmete heftig, was Fanny an den vielen weißen Wolken, die sie ausstieß, deutlich sehen konnte.
Luise rannte zurück zu ihrem Kind, in ihrem Gesicht regte sich noch immer kein erkennbares Gefühl. Sie griff unter ihren Mantel, nestelte nach einer Kette und zog sie heraus, in der Kälte schien ihr Körper zu dampfen.
Luise legte das Glasperlenarmband um den Hals ihres Kindes. Fanny wartete angespannt darauf, dass sie ihr über die Wange streicheln würde,
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