Der Duft Der Wüstenrose
Schlimmeres. Nein, kein Mensch, der bei Verstand ist, treckt, nachdem die Sonne untergegangen ist! Das Feuer hält die Hyänen und Schakale ab. Denn das Gefährlichste wäre, wenn uns die Ochsen abhandenkämen. Aber meine Leute sind darauf gedrillt, genau das zu verhindern.«
Eine Stunde später machten sie in der Nähe eines knorrigen Kameldornbaums mit einem ausladenden Kronendach halt. Die Ochsen wurden von Hendrik ausgespannt und mit Wasser versorgt. Dazu musste er zusammen mit den anderen Eingeborenen ein tiefes Loch in den Sand graben und das Wasser herausschöpfen.
Fanny sah zuerst eine Weile zu und kam sich zunehmend nutzloser vor. Sie schlenderte hinüber zu dem Kameldornbaum, um sich in seinen Schatten zu setzen. Kaum hatte sie sich hingesetzt, rannte Ludwig mit einem Kudufell unter dem Arm schon auf sie zu und zog sie mit liebevollem Kopfschütteln wieder hoch. »Entschuldige, aber in diesem Schatten lauern Tausende von Zecken auf ihre Opfer, die können dort Jahre geduldig ohne Nahrung ausharren.«
»Ich würde sowieso viel lieber helfen, als hier müßig herumzusitzen.«
Er winkte ab und meinte, dass es bald mehr als genug für sie zu tun geben würde. Dann ging er zu dem toten Springbock hinüber, zog ihm das Fell ab und weidete ihn aus, um ihn zu zerlegen.
Fanny, die in der Klosterküche unzählige Hasen hatte häuten und ausnehmen müssen, war beeindruckt, wie gekonnt und ohne jedes Zögern er dabei mit dem Messer hantierte. Als er bemerkte, wie sie ihn beobachtete, winkte er mit dem blutigen Messer zu ihr herüber und lächelte ihr zu.
John hatte in der Zwischenzeit aus einer der Kisten Emailbecher, Teller und Bestecke herausgeholt, während die Eingeborenen zwei große Kochtöpfe mit Dreibeinen etwas voneinander entfernt aufstellten und darunter je ein Feuer entfachten. Als eine Art Anzünder rissen sie Büsche vom Wegrand aus, die einen starken Geruch nach Terpentin verbreiteten und dann knisternd und Funken sprühend brannten. Als das Feuer schließlich hell flackerte, legte John Teile des Springbocks aufs Feuer und rührte in dem einen Kochtopf einen Mehlbrei an. In dem anderen wurde Tee zubereitet.
Weil Fanny so damit beschäftigt gewesen war, den anderen bei der Arbeit zuzuschauen, hatte sie nicht bemerkt, dass die Sonne schon hinter den weit entfernten Felsen untergegangen war. Schlagartig, ohne eine Phase der Dämmerung, wurde es dunkel.
Fanny begann zu frieren. Ihr Kleid war zwar wieder trocken, aber durch das Salzwasser war es unangenehm steif und scheuerte. Als Erstes werde ich mir passende Kleidung zulegen, dachte sie, was für ein Unsinn, bei diesen Tempera turen und all dem Staub Korsett und Spitzenkleid zu tragen. Und darin zu schlafen erscheint mir der Gipfel der Unvernunft! Zitternd krempelte sie ihre Ärmel wieder herunter.
Ludwig brachte ihr einen Tee aus Blättern, die sie nicht kannte und den sie gierig trank. Außerdem legte er ihr eine Wolldecke um die Schultern und führte sie zu dem Feuer, auf dem der Springbock gegrillt wurde. Dort setzte sie sich zusammen mit Ludwig und John auf die ausgebreiteten Felle. Hendrik und die anderen Eingeborenen saßen rund um das andere Feuer.
Das Fleisch auf dem Rost duftete verlockend, und Fanny lief das Wasser im Mund zusammen. Es kam ihr so vor, als wären seit dem Frühstück auf dem Schiff nicht Stunden, sondern Jahre vergangen. Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so einen nagenden Hunger gehabt zu haben.
John füllte ihren Becher erneut mit Tee. Als er ihren gie rigen Blick bemerkte, lachte er. »Es wird noch eine Weile dauern, bis das Fleisch gar ist.« Er warf Ludwig einen Blick zu. »Hendrik könnte uns eine Geschichte erzählen, dann vergeht die Zeit schneller.«
Ludwig nickte. »Wenn dir das gefällt, Charlotte, soll’s mir recht sein. Die Namas haben ganz hübsche Märchen auf Lager.«
»Was sind Namas?«, fragte Fanny. »Davon habe ich in der Frauenkolonialschule nie etwas gehört.«
Ludwig legte seinen Arm um sie, während er anfing zu erklären. »Hier in Deutsch-Südwest leben viele verschiedene Eingeborene, zum Beispiel die Herero und die Nama. Das sind beides Nomadenstämme, die mit ihren Rinderherden durch das Land ziehen. Zwischen ihnen gibt es ständig Kriege um Rinder und Weiden, und man muss höllisch aufpassen, dass sie einem nicht die Rinder aus den Kraalen stehlen. Außerdem leben weiter nördlich, Richtung Etoscha, noch die Stämme der Himba und die Ovambo. John, mein Verwalter, wiederum ist der
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