Der Duft Der Wüstenrose
fragte Fanny, die Angst hatte, er würde sich in seinen Erinnerungen verlieren.
»Geduld, meine Liebe, Geduld. Nun, dieser Herero hatte ein Amulett um den Hals, mit Federn und Knochen und drei dieser gelben Perlen«, er zeigte auf ihr Armband, »und wenn mich nicht alles täuscht, auch etliche dieser anderen merkwürdigen Perlen. Ich meine die, die mal wie ein Regenbogen und mal wie ein Sonnenuntergang schim mern. Ich bin sicher, ich hätte diese Perlen wieder vergessen, wenn meine Luise nicht die gleichen an einem Lederband um den Hals getragen hätte.«
Wieder eine Spur, dachte Fanny innerlich jubelnd, diesmal eine echte Spur und kein Märchen. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. »Und haben Sie Ihre Frau danach gefragt?«
»Natürlich, aber sie hat mir nie eine Antwort darauf gegeben. Ganz egal, welche Strafen ich ihr auch angedroht habe, sie hat immer nur geschwiegen.«
»Und der tote Priester? Wurde sein Mörder jemals gefasst?«
Der Richter sog bedächtig an seiner Pfeife. »Nein.«
»Und was ist nun das Geheimnis, das Sie mir verraten wollten?«
»Meine Liebe, Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet.«
»Die Perlen sind von meiner Mutter.«
»Und wer war Ihre Mutter?«, fragte er.
Seine Worte trafen sie unerwartet und hatten die Wirkung eines Schlags. Sie war froh, dass sie saß. Warum fragte er das? Er wusste doch, wer ihre Mutter war, das stand schließlich auf ihrer Abstammungsurkunde! Schnell, schnell, wie war noch der Mädchenname von Charlottes Mutter? »Karoline Viktoria von Ehlert«, sagte Fanny hastig.
»Nach all den Jahren als Richter würde ich meinen linken Fuß verwetten, meine verehrte Charlotte, dass Sie mir nicht die ganze Wahrheit erzählen. Sie enttäuschen mich.«
Woran hatte er das nur gemerkt? In den letzten Jahren im Kloster war Fanny kein einziges Mal mehr beim Lügen erwischt worden. Sie wusste, dass Angriff die beste Methode war, um abzulenken. »Sie beleidigen mich und meine Ehre.«
Der Richter grinste breit. »Charlotte, kommen Sie mir bloß nicht mit der Ehre, das ist das lächerlichste Wort im ganzen Kaiserreich.«
Ludwig würde jetzt laut protestieren, dachte Fanny.
»Wie meinen Sie das?«
Der Mops kam zurück und sprang wieder auf den Schoß des Richters. »Die Ehre ist ein windiges Gut und wird gern als Ausrede für kriminelle Taten benutzt. Ich halte es mit Fontane. ›Es kann die Ehre dieser Welt dir keine Ehre geben. Was dich in Wahrheit hebt und hält, muss in dir selber leben.‹«
Und wenn ich ihm alles erzähle, mich ihm anvertraue? Nein, ganz und gar unmöglich. Als Richter könnte Ehrenfels nicht zulassen, dass Ludwig eine Frau wie mich heiratet, eine, über die man nichts weiß. Fanny trank einen großen Schluck omeire .
»Sie erinnern mich an meine Luise, und ich wünsche Ihnen Glück.« Der Richter klopfte seine Pfeife aus, erhob sich so schnell, und der Mops fiel mehr, als dass er herunterspringen konnte. Der Junge lief heran und reichte dem Richter einen schwarzen Stock mit einem weißen, geschnitzten Elefantenknauf. Mit einer Hand stützte Ehrenfels sich auf die Schulter des Jungen, mit der anderen auf seinen Stock. »Wir sehen uns nachher in meinem Büro.«
Als sie die beiden davonschlurfen sah, fragte sie sich, war um der Richter keine Kinder hatte. Dann fiel ihr siedend heiß ein, wie schlecht sie gelogen hatte. So schlecht, dass er es gemerkt hatte. Das musste besser werden, heute Abend durfte sie sich nicht die mindeste Blöße geben und sollte ein paar Geschichten bereithalten, die sie zum Besten geben konnte. Immerhin hatte ihr Charlotte erzählt, warum sie nach Übersee verheiratet worden war. Eigentlich war sie mit Hofmarschall Treskow so gut wie verlobt, als dieser und ihr älterer Bruder Aribert in einen üblen Skandal am Hof verwickelt wurden, der sich über Jahre hinzog. Vor zwei Jahren, im Januar 1891, hatte es eine Orgie im Berliner Jagdschloss Grunewald gegeben, bei der es nicht nur zu wilden Partnerwechseln, sondern auch zu gleichgeschlechtlichen Handlungen unter Männern gekommen sein sollte.
Fünfzehn adlige Damen und Herren der Hofgesellschaft hatten daran teilgenommen, darunter enge Verwandte von Kaiser Wilhelm II. Und eben auch Aribert und der Hofmarschall.
Nachdem Charlottes Bruder durch ein verbotenes Duell den Tod gefunden und das anschließende Gerichtsverfahren das Familienvermögen aufgezehrt hatte, waren Charlottes Chancen auf eine standesgemäße Heirat in Berlin dahin. Doch ihre findige Mutter war auf die
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