Der Duft Der Wüstenrose
würde sie heiraten.
Plötzlich sehnte sie sich nach der Klosterkirche zurück. Das hohe Gebäude mit den bemalten Decken und Wandfresken und dem von allen Schwestern geliebten Reutberger Christkind, das angeblich ein Jahrhundert lang in der Geburtsgrotte von Bethlehem gelegen haben soll, ja, das wäre eine Kirche zum Heiraten. Doch dann fiel ihr wieder ein, wie es zur Gründung von Reutberg gekommen war, und sie musste trotz ihrer inneren Anspannung lächeln. Das Kloster war von einer Gräfin Anna 1618 nach einer höchst unglücklichen Ehe gegründet worden. Ihr Ehemann, Graf Papafava, hatte einen Mordanschlag auf seine Frau Anna verübt und war mit deren Schmuck und Edelsteinen nach Padua geflohen. Nein, das wäre auch kein perfekter Ort für eine Eheschließung.
»Was amüsiert dich denn so?«, fragte Ludwig, der in seinem weißen Anzug stark schwitzte und ständig versuchte, seinen Krawattenknoten zu lockern. Sie sollten in dem Nebenzimmer warten, bis im großen Saal gesungen würde, und danach dann direkt an den Altar treten. Man hatte auf den festlichen Einzug der Braut verzichtet, weil es keine Orgel und kein Klavier gab.
Plötzlich summten nebenan Stimmen, zunächst unsicher, doch dann schwoll der Gesang an und versetzte Fanny in einen rauschartigen Zustand.
Treulich geführt ziehet dahin,
wo euch der Segen der Liebe bewahr’!
»Was ist das?«, fragte sie Ludwig flüsternd.
»Das ist das Brautlied aus ›Lohengrin‹ von Richard Wagner. Ich habe veranlasst, dass es gesungen wird, weil ich dachte, es würde dir gefallen.«
Siegreicher Mut, Minnegewinn
eint euch in Treue zum seligsten Paar.
Streiter der Jugend, schreite voran!
Zierde der Jugend, schreite voran!
Rauschen des Festes seid nun entronnen,
Wonne des Herzens sei euch gewonnen!
Mit einem Mal war Fanny nicht mehr zum Lachen. Eint euch in Treue zum seligsten Paar , und sie stand hier in einem Kleid, das ihr nicht gehörte, und heiratete einen Mann, der nicht wusste, wer sie war.
Ludwig beugte sich zu ihr. »Du bist meine Elsa, und ich bin gekommen, um deine Ehre zu verteidigen.«
Sie war sich nicht sicher, ob sie ihn richtig verstanden hatte. »Wie bitte?«, wisperte sie.
Er schüttelte den Kopf. »Ich meine den Skandal. Aber du darfst mich jederzeit nach meinem Namen fragen, ohne dass es wie bei Lohengrin Tod und Verderben bringt.«
Fanny verstand kein Wort. Tod und Verderben? Was, wenn jemand sie nach ihrem wahren Namen fragen würde? In ihren Ohren begann es zu rauschen. Sie versuchte, ruhig zu atmen, um wieder klar im Kopf zu werden, doch da brauste der Gesang erneut auf.
Treulich bewacht bleibet zurück,
wo euch der Segen der Liebe bewahr’!
Siegreicher Mut, Minne und Glück
eint euch in Treue zum seligsten Paar.
Streiter der Tugend, bleibe daheim!
Zierde der Jugend, bleibe daheim!
Rauschen des Festes seid nun entronnen,
Wonne des Herzens sei euch gewonnen!
Duftender Raum, zur Liebe geschmückt,
nahm euch nun auf, dem Glanze entrückt.
Ihr wurde schwindelig. Wonne des Herzens, Segen der Liebe. Charlotte erschien ihr so unendlich weit weg und Ludwig so nah. Sie berührte ihr Glasperlenarmband, das zu glühen schien. Erschrocken ließ sie es wieder los und wandte ihr Gesicht zu Ludwig. Er nickte aufmunternd und nahm ihre Hand, dann durchschritten sie die Tür und betraten den Festsaal, an dessen gegenüberliegendem Ende ein evangelischer Priester der Rheinischen Missionsgesellschaft ihnen freundlich zulächelte. Ein betäubender Geruch nach Zitronen, Honig, Schweiß und Staub stieg in ihre Nase und weckte in ihr die Sehnsucht nach der klaren Nachtluft im Swakoprivier. Duftender Raum, zur Liebe geschmückt … Was wusste sie schon von Liebe? Charlotte, die hatte sie wirklich ins Herz geschlossen, aber was war das für ein Gefühl, wenn sie Ludwig ansah? Sie lugte zu Ludwig hinüber, doch dann blieb ihr Blick am Pfarrer haften, der vor einem langen Tisch stand, der mit einem weißen Tuch abgedeckt war. Darauf befanden sich ein fensterhohes Kreuz aus grün verfärbter Bronze und eine dicke, aufgeschlagene Bibel, deren goldene Schnittkanten matt schimmerten.
Fanny versuchte, sich zu fassen, aber durch ihren Kopf dröhnten immer wieder die Worte, die sie gerade gehört hatte: Siegreicher Mut, Minne und Glück, eint euch in Treue zum seligsten Paar.
Minne und Glück. Sie klammerte sich an Ludwig, der sie verwundert ansah und dann behutsam von sich löste. Mut. Glück.
Der Pfarrer räusperte sich. »Gott hat von Anfang an Mann und Frau
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