Der Duft Der Wüstenrose
Mann alt war, aber beim Näherkommen sah sie, dass die junge Frau einen Klumpfuß hatte, den sie nachziehen musste.
»Darf ich mich vorstellen?«, sagte der Mann mit einer wohltönenden Stimme, die ganz offensichtlich darin geübt war, eine ganze Gemeinde wachzuhalten. »Ich bin Gustav Schindler, und das ist meine Tochter Daphne Maria Amalia.«
Daphne nickte und musterte Fanny. »Wir haben eine Kleinigkeit zu essen mitgebracht«, sagte sie und zeigte zu Zach und Martha, die ganze Körbe voll mit Essen von dem Gespann herunterluden.
»Das ist ja großartig!«, entfuhr es Fanny, und als sie die verwunderten Blicke sah, fügte sie hinzu: »Aber das wäre doch gar nicht nötig gewesen …«
»Meine Tochter hat nur ein paar eingelegte Gurken, Brot und Polony mitgebracht, außerdem einen Kürbiskuchen.«
»Vater!«, zischte seine Tochter, die bei seiner Aufzählung rot geworden war.
Unbeirrt redete Gustav Schindler weiter. »Sie dachte, dass Sie gerade erst aus Berlin gekommen sind und sicher noch keine Gelegenheit hatten, sich mit den Gegebenheiten hier vertraut zu machen.«
»Das ist hier bei uns so Brauch«, ergänzte Daphne kurz, musterte Fanny und presste ihre Lippen zu einem missbilligenden Strich zusammen.
»Das ist ein ganz wundervoller Brauch! Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie dankbar ich Ihnen bin«, sagte Fanny und ließ ihre Gäste herein. Was für eine angenehme Überraschung – erstens war die Essensfrage gelöst, und zweitens war Hermann nicht länger der einzige Gast. Sie führte die beiden ins Wohnzimmer zu Ludwig, stürzte dann in die Küche, um sich die Geschenke anzuschauen und Tee für die beiden in Auftrag zu geben. Es duftete aus den beiden Körben nach frischem Brot und geräucherter Wurst. Der karamellisierte Zucker auf dem Blech mit dem Kürbiskuchen glänzte verführerisch.
Als sie mit dem Teetablett ins Wohnzimmer zurückkam, lag eine merkwürdige Spannung in der Luft, die sie sich nicht erklären konnte. Ludwig schien über den Besuch der beiden nicht wirklich erfreut. »Gustav Schindler war ein Kollege meines Vaters«, erklärte er gerade Hermann. Fanny reichte Daphne eine Tasse Tee und betrachtete sie dann genauer. Wie schön wäre es, auch hier eine Freundin zu finden. Wir sind ungefähr gleich alt, dachte sie und lächelte Daphne zu. Daphne wich ihrem Blick jedoch aus, trank einen Schluck Tee, seufzte und rümpfte dabei ihre Nase wie eine kleine Katze, die verdorbene Milch schlabbert. Ihr zartes Gesicht wurde von hübsch gewellten, rotgoldenen Haaren umrahmt, die locker aufgesteckt waren. Wenn der klobige schwarze Stiefel nicht gewesen wäre, hätte Fanny sich neben ihr wie eine Walküre gefühlt. Daphne stellte die Tasse ab und fragte Fanny, wie die Reise verlaufen war. Dabei begegneten sich ihre Augen, und Fanny wurde nicht schlau aus dem, was sie sah. Heftige Abneigung oder sogar Hass und Neugier. Als Fanny merkte, dass Daphne gar nicht wissen wollte, wie ihre Reise verlaufen war, fragte sie nach, was denn Polony sei.
Ihre Frage fiel in einen Schweigemoment, und so schauten alle auf Daphne, die es ganz offensichtlich genoss, im Mittelpunkt zu stehen. Geziert tupfte sie ihr Mündchen mit einem Taschentuch ab und erklärte dann, dass Polony Würste seien, die man am besten aus dem Blut alter Bullen herstellen könnte. An dieser Stelle schlug sie die Augen nieder, als hätte sie etwas Anstößiges gesagt. Dann fuhr sie mit eintöniger Stimme fort: »Man nimmt das blutwarme Fleisch und mischt es im Verhältnis von vier Teilen Rind zu einem Teil fettem Schwein und dreht es durch den Fleischwolf. Nachdem man das Fleisch noch durch eine feinere Scheibe gedreht hat, mischt man die etwa zwölf Kilo Fleisch mit einer Tasse Salz, siebeneinhalb Esslöffeln weißer Pfefferkörner, vier Esslöffeln Zucker, etwas gemahlenem Koriander, eineinhalb Esslöffeln Muskatnuss, einem dreiviertel Esslöffel Majoran, einem halben Esslöffel Selleriesaat und einem Teelöffel Salpeter, den man in dreihundert Milliliter Wasser auflöst.«
An der Stelle wurde Fanny bewusst, dass die Männer anfingen, sich unruhig zu bewegen. So genau hatte es niemand wissen wollen, aber das schien Daphne nicht zu bemerken.
»Dann wird die Masse so lange geknetet, dass sie fest, aber nicht elastisch wird.« Daphne betrachtete dabei ihre zarten Hände und lenkte so den Blick aller auf sie. »Die Masse füllt man dann in Därme. Danach räuchert man die Wurst über dem Holzgrill, und schließlich wird sie dann bei 93 Grad
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