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Der Duft des Anderen

Der Duft des Anderen

Titel: Der Duft des Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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auf der Couch säße. Sie würde wohl sagen, mach doch den blöden Fernseher aus und trink nicht so viel Bier. Und er würde sagen: ›Haust du mir eine runter, wenn ich dir sage, wie süß du aussiehst?‹ Sie würde ihm eine runterhauen, und er würde ihre Hand festhalten, ihre schmale, starke Hand, und sie nur ansehen. Und dann würden sie beide lachen wie damals im Saseler Landhaus. Und dann –
    Sein Handy klingelte, verdammt, er hatte vergessen, es auszustellen, er war nicht im Dienst.
    »Matuschek.«
    »Jan? Hier ist Barbara. Ein frohes neues Jahr!«
    Es gab noch Wunder in dieser kalten Welt! »Barbara! Eben habe ich an dich gedacht. Auch dir ein glückliches neues Jahr.« Er drückte den Ton im Fernseher weg. »Wie hast du die Feiertage verlebt? War viel Schnee im Schwarzwald?«
    »Jan?« Ihre Stimme klang nicht so gelöst wie sonst. »Ich brauche dich, kannst du herkommen?«
    »Barbara? Oh mein Gott! Ist etwas passiert?«
    »Nein, es ist nichts Schlimmes. Ich brauche dich als Freund für eine etwas heikle Angelegenheit. Du bist doch noch mein Freund?«
    »Klar!«, sagte Jan vorschnell. »Um was geht es denn?«
    »Das möchte ich nicht am Telefon besprechen.«
    »Das hört sich ja gefährlich an.«
    »Ist es nicht. Du sollst nur eine Vermittlerrolle übernehmen. Ich wüsste nicht, an wen ich mich sonst wenden sollte.«
    Jan war geschmeichelt. »Ich komme natürlich. Kann ich bei dir wohnen? Ich meine, bei Joachim und Monika geht es wohl schlecht.«
    »Klar, kannst du. Getrennte Zimmer, aber das weißt du ja.«
    Es gibt Türen
, dachte Jan. »Ich starte gleich morgen früh. Gegen elf kann ich bei dir sein, abgemacht?«
    ***
    Die Luft in Hamburg war feuchter als in Berlin, und die Feuchtigkeit hatte sich niedergeschlagen in Reif. Jan fuhr durch eine bezaubernde Zuckerbäckerlandschaft unter einem durchsichtigen Himmel. Manchmal färbte sich die Luft leicht rosa, das war Smog.
    Barbaras verwilderter Garten, im Sommer der reinste Dschungel, hatte sich in eine bizarre Landschaft verwandelt. Jeder welke Grashalm ein kristallenes Kunstwerk.
Wie der Palast der Eiskönigin aus dem Märchen
, dachte er.
    Nach dem Klingeln hörte er ihre vertrauten Schritte von der Treppe herabkommen. Als die Tür sich öffnete, wollte er sie zu einem Neujahrsgruß umarmen, doch er verharrte auf der Schwelle. Vor ihm stand ein Mann. Kurz geschnittenes Haar, markante Gesichtszüge, grauer Anzug, bunte Krawatte, und er sah Barbara sehr ähnlich. Im ersten verwirrten Augenblick dachte Jan an einen Bruder, den sie ihm verschwiegen hatte, doch dann hörte er ihre vertraute Stimme: »Komm doch herein, Jan.«
    »Barbara?«, hörte er sich flüstern. Und gleichzeitig wurde ihm so kalt, als habe der Reif sich auch auf ihn gelegt und gefangen in seiner frostigen Starre. Alles war plötzlich so klar und doch so entsetzlich dunkel.
    Er stand in ihrem Hausflur, hörte, wie sie die Haustür schloss, sah sein blasses Gesicht im Spiegel. Und hinter ihm stand der Mann im grauen Anzug und lächelte wie ein Vollstrecker, der das Schwert hinter dem Rücken verbirgt.
    »Barbara ist tot«, sagte der Mann, »nenne mich Alexander. Leg doch ab Jan, was stehst du da herum wie ein vergessener Regenschirm?«
    Jan zog seine gefütterte Lederjacke aus und seine Stiefel. Dort unter der Garderobe standen zwei Hausschuhe, er schlüpfte hinein, als habe er sie immer schon getragen. Er ging ins Wohnzimmer. Bilder, überall Bilder! Auf allen Bildern derselbe Mann, Jan kannte diesen Mann: Alexander Kirch. Darunter das Kürzel A.K. – Selbstbildnis. Feine, abgezirkelte Druckbuchstaben. Jan dachte an zugehängte Bilder im Halbdunkel eines Boden-Ateliers, aber nur flüchtig, er kam sich vor wie in einem Albtraum, aus dem er sich nicht befreien konnte.
    »Nimm Platz«, sagte die Barbara-Stimme hinter ihm, und er setzte sich. Vom Sessel aus konnte er in die Küche sehen. Auf dem Boden standen leere Wodkaflaschen.
    Barbara setzte sich in den Sessel gegenüber, holte aus einem schmalen Päckchen ein Zigarillo und bot es ihm an. Jan nahm ihn, und Barbara gab ihm Feuer. Aus der Nähe sah Jan, dass sie viel stärker geschminkt war als sonst. Die Wangenknochen waren betont, die Brauen verstärkt, die Augenlider hatten etwas Schweres.
    Jan fiel Erich Blume ein. Travestie! Harmlose, kleine Spielchen auf der Bühne. Aber nicht bei Barbara. Sie hatte gemordet, war verrückt, gefährlich, und er saß in ihrem Sessel und rauchte ihre Zigarillos. Er bemerkte, dass seine Hand zitterte,

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