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Der Duft des Anderen

Der Duft des Anderen

Titel: Der Duft des Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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war der erste Weihnachtstag, und es nieselte in bester Novembermanier. Am Nachmittag hatte sich Alexander vor den Kamin gekniet und sich der plebejischen Beschäftigung des Feueranzündens gewidmet. Jetzt saß er in seinem Hausmantel vor dem prasselnden Feuer in einem Sessel, neben sich ein klares Getränk und Dominosteine, und las. Er kämpfte sich durch ›Krieg und Frieden‹ und bildete sich ein, das Buch ersetze ihm menschliche Nähe. Von fern kam das Geläut von Kirchenglocken, sonst war alles still. Weihnachtliche Ruhe war eingekehrt, das schätzte Alexander an dem Fest.
    Da schrillte das Telefon. Er zuckte wirklich zusammen. Dann legte er das Buch zur Seite und ging zur Bar, wo der Apparat stand.
Joachim
, dachte er.
Hängt doch sehr an den alten Bräuchen, der Bursche.
»Hallo«, sagte er weich.
    »Hallo«, antwortete eine ebenso weiche Stimme. »Sascha hier.«
    Verdammt! Alexander spürte sofort einen Druck auf dem Magen. Mit Sascha hatte er nicht gerechnet, nicht zu Weihnachten. Aber immerhin hatte er irgendwann mit ihr gerechnet, schließlich hatte die gewünschte Anzeige in der Morgenpost gestanden.
    Was er in diesem Augenblick fühlte und was er ihr gern gesagt hätte, das blieb sein düsteres Geheimnis. Drei Sekunden brauchte er, dann hatte er sich gefasst. »Was für eine festliche Überraschung, mein Fräulein. Sie wollten doch nicht am Weihnachtstag mit mir verhandeln?«
    »Bist du allein, Alexander?«
    Er schwieg zwei Sekunden. »Geht Sie das etwas an, mein Fräulein?«
    »Mich geht alles an, was dich betrifft, Alexander. Und lass doch das dumme Gesieze und ›mein Fräulein‹. Ich sage doch auch nicht ›mein Herrlein‹ zu dir, oder?«
    »Wie möchten Sie denn angeredet werden, gnädige Frau?«
    »Sag Sascha zu mir, wie im Club, okay?«
    Alexander räusperte sich. »Fällt mir schwer, aber wenn es zu den Bedingungen gehört. Du siehst, wir haben die Anzeige geschaltet. Nun ist es an dir, die Modalitäten festzulegen.«
    »Ihr werdet also das Geld nehmen und aus Deutschland verschwinden?«
    »Mein Fräulein – ich meine, Sascha. Wir haben keinen Augenblick geglaubt, du würdest uns Flitterwochen in Rio spendieren. Wenn ich von Modalitäten spreche, so meine ich, die Bedingungen, unter denen du bereit bist, von deinem etwas skurrilen Steckenpferd Abstand zu nehmen, nämlich in meinem Namen und gekleidet wie ich Morde zu begehen.«
    Er hörte ein leises Lachen. »Skurriles Steckenpferd? Die Morde begehe ich für dich, begreifst du das nicht? Ich tue nur das, was du selbst gern tätest, wenn du frei wärst, Alexander, frei …«
    »… wie ein Adler?«, unterbrach Alexander sie. »Du glaubst also, ich würde gern morden?«
    »Morden, herumhuren, nackt über die Champs Élysées laufen, spielt das eine Rolle? Ich lebe für dich das Unsagbare, das Niegelebte, das in dir brodelt. Du bist wie ich, aber du trägst Ketten, erinnerst du dich, dass du es mir gesagt hast? Ich habe dir vorgelebt, wie man sie zerschlägt. Ich biete dir eine Zukunft ohne Fesseln, ohne Firma, ohne graue Anzüge, die du in einem kümmerlichen Aufbegehren mit scheußlichen Krawatten trägst. Ich biete dir und Joachim fünf Millionen.«
    Alexander schwieg. Zum ersten Mal fand er sie nicht so verrückt, wie er geglaubt hatte. Konnte diese Welt – gegen jede Vernunft – wirklich so beschaffen sein, dass eine Frau ihn besser kannte als er sich selbst?
    »Weshalb sagst du nichts?«
    »Ich – denke nach. Was du sagst, klingt nicht unvernünftig. Außer der Sache mit den fünf Millionen. Niemand verschenkt soviel Geld, wenn du es denn überhaupt besitzt.«
    »Vielleicht besitze ich zehn Millionen? Um diesen Teil unserer Abmachung solltest du dir keine Gedanken machen. Es ist mir fünf Millionen wert, dass du gehst, damit ich Alexander sein kann.«
    Damit du Alexander sein kannst
, dachte er erschüttert. Was für eine Hybris! Was für ein verblendetes Weib! Mit einer Stimme, als habe er Kreide gegessen, erwiderte er: »Für fünf Millionen darfst du dich Präsident der Vereinigten Staaten nennen. Aber wer garantiert, dass wir es auch bekommen?«
    »Ich werde einen Weg finden.«
    »Sollten wir uns nicht einmal treffen und das alles in Ruhe besprechen?«
    »Und die Polizei hört im Nebenzimmer mit? Schade, Alexander, dass du mich für dumm hältst. Ich mag in deinen Augen eine Frau sein, aber selbst Frauen können denken.«
    »Dann sag selbst, wie du es dir vorgestellt hast.«
    »Ich werde mich wieder melden. Eigentlich habe ich

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