Der Duft des Anderen
Nacht das Leben genommen, weil er zwei Geheimnisse hütete, deren Last er nicht mehr ertrug: Er war ein fünffacher Mörder, und er war in Wirklichkeit eine Frau …«
Nachdem Jan seine Geschichte, so wie er sie sah und so wie Barbara sie gesehen hätte, losgeworden war, beeilte er sich, nach Hause zu kommen. Monika war noch nicht zurück, ihr Kurs war um sechs Uhr zu Ende, jetzt war es fünf. In aller Hast packte Jan seinen Koffer, warf ihn auf den Rücksitz seines Taxis und brauste nach Berlin.
Die Nacht verbrachte er in seiner Wohnung in Kreuzberg. Am nächsten Tag kaufte er sich eine Hamburger Zeitung, die es auf der ersten Seite brachte:
ADVENT-MÖRDER EINE FRAU?
Mysteriöser Selbstmord eines Transsexuellen
Gestern Mittag wurde der Atomphysiker Professor Alexander Kirch tot in seiner Wohnung aufgefunden. Die Polizei geht von einem Selbstmord aus. Bei der Untersuchung stellte sich heraus, dass der Tote eine Frau war. Laut Aussage seines langjährigen Mitarbeiters, der den Toten fand, war es dem Professor gelungen, seine weibliche Identität vor allen geheim zu halten.
Der Tod dieses Mannes, der eine Frau war, wirft ein neues Licht auf die ungeklärten Morde an Strichjungen, die als Advent-Morde bekannt wurden. Ein Verdacht gegen Kirch wurde damals fallen gelassen, weil der Professor ein Alibi vorweisen konnte. Ist Alexander Kirch von seinen Freunden gedeckt worden? Weiter auf Seite 4.
Jan schnitt diesen Artikel sorgfältig aus und legte ihn in einen Briefumschlag. Dann sah er auf die Uhr. Halbelf. Er rief Monika an.
***
Bei Monika klingelten an diesem Morgen um zehn Uhr zwei Männer, die sich als Inspektor Schirdewahn und Assistent Becker von der Kriminalpolizei auswiesen.
Monika hatte schlecht geschlafen und vor lauter Unruhe den Morgen damit zugebracht, ihre aufgeräumte Wohnung aufzuräumen. Jan hatte sich davongemacht, einfach so. Er war mitsamt seinen Sachen verschwunden. Und jetzt stand die Kripo vor der Tür. Vor ihrer Tür! Mein Gott! Der Schrecken fuhr ihr eisig in die Knochen. Jan hatte etwas Schlimmes ausgefressen, und jetzt suchten sie ihn.
Die Kripo-Beamten fragten, ob sie hereinkommen dürften.
Monika warf einen Blick auf die Schuhe der beiden. Wie kam es, dass sie in dieser Situation an ihren Teppich dachte? Sie wusste es selber nicht. Vielleicht, um ihre Nervosität zu überdecken. »Putzen Sie sich bitte die Füße ab, bevor Sie eintreten.«
Sie bot ihnen einen Platz an, aber nichts zu trinken. Während Schirdewahn und Becker neben Penelope auf der weißen Ledercouch Platz nahmen, blieb Monika mit verschränkten Händen am Kamin stehen und wartete blass auf die Fragen der Besucher.
»Setzen Sie sich doch, Frau von Stein«, sagte der Dicke mit dem Schnauzer freundlich.
»Ich bleibe lieber stehen. Worum geht es denn?«
»Ihr Mann ist nicht zu Hause?«
»Nein, er ist in London.«
Die beiden Männer sahen sich an. »In London?«, fragte Schirdewahn. »Seit wann denn?«
»Seit fast vier Wochen.« –
Sollte es nicht um Jan, sondern um Joachim gehen?
, schoss es Monika durch den Kopf.
»Und Sie sind ganz sicher, dass er sich in London befindet, gnädige Frau?«
»Ich wüsste nicht, wo er sonst sein sollte.«
»Sie haben sicher eine Adresse oder eine Nummer in London, wo Sie ihn erreichen können?«
»Nein.« Monika fiel von einem Schrecken in den anderen. Also suchten sie Joachim. Deshalb hatte er sich nie gemeldet. »Mein Mann ist nicht ausschließlich in London«, fügte sie hastig hinzu, »er besucht verschiedene Kunden und wechselt oft das Hotel. Er ruft mich an.«
Schirdewahn nickte bedächtig, als glaube er ihr, Becker grinste bösartig. »Wie erklären Sie es sich dann, dass er gestern Mittag in der Wohnung von Herrn Professor Kirch gewesen ist?«
»Sie kennen doch Herrn Kirch?«, ergänzte Schirdewahn.
Monika wurde weiß wie die Wand. »Ja«, flüsterte sie. »Kirch ist sein Chef. Ich – kann es mir nicht erklären. Vielleicht ist er früher aus London zurückgekommen und hat ihn aufgesucht? Das könnte doch sein?«
»Sie weiß es noch nicht«, flüsterte Schirdewahn seinem Kollegen zu, und Becker fragte scharf: »Sie wollen damit sagen, Sie wissen nicht, wo Ihr Mann sich zum jetzigen Zeitpunkt aufhält?«
»Nein!« Monika schrie es fast. »Er ist in London! Und wenn er nicht mehr in London ist, dann ist er in seiner Firma. Fragen Sie doch dort nach ihm!«
Schirdewahn erhob sich. »Dort haben wir angerufen. Es ist niemand ans Telefon gegangen.«
»Was?«
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