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Der Duft des Anderen

Der Duft des Anderen

Titel: Der Duft des Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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schwitzte. Plötzlich wurde ihm selbst unbehaglich. Die Angst des anderen – und er war nicht nur besorgt, er hatte Angst – sprang auf ihn über und gab den Merkwürdigkeiten in letzter Zeit einen neuen bedrohlichen Sinn. »Na gut«, sagte er mit belegter Stimme, nahm ein großes Schlüsselbund vom Haken, schloss die Pförtnerloge auf und ging voran.
    Zuerst klopfte er, erst zaghaft, dann lauter. »Herr Professor!« Jan schrie: »Alexander!«
    Als sich nichts rührte, schloss Hermann auf. Das Erste, was Jan sah, war ein tadellos aufgeräumtes Wohnzimmer. Alle Bücher, Pergamente, Gipsköpfe, Waffen, ausgestopfte Tiere, der alte Globus, die Stehlampe, alles war noch da, aber blitzblank geputzt und liebevoll arrangiert. Das Zimmer wirkte jetzt wie eine antiquarische Puppenstube. Im Ledersessel saß Barbara, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt, korrekt gekleidet wie der Herr Professor: grauer Anzug, bunte Krawatte.
    »Na sehen Sie, er schläft«, sagte Hermann.
    Aber Jan starrte auf die Dinge, die auf dem kleinen Tisch standen. Eine leere Wodkaflasche und – was ihm den Angstschweiß auf die Stirn trieb – zwei Medikamentenschachteln. Er musste sie nicht näher in Augenschein nehmen, er wusste, Barbara war tot.
    Sie saß dort zwischen ihren geliebten Dingen wie ein Herrscher inmitten seiner Grabbeigaben. Lächelnd. Sie war glücklich gestorben. Aber gestorben! Eine heiße Wut stieg Jan die Kehle hoch, schnürte ihm die Luft ab. Gestorben an dem Virus Alexander Kirch! Trotzdem ging er hin, nahm ihre schlaffe Hand und fühlte ihr den Puls.
    Hermann hatte sich interessiert umgesehen. »So viele Selbstbildnisse! Hab ja gar nicht gewusst, dass der Herr Professor so gut malen kann.« Er stand etwas nervös an der Tür. »Alles in Ordnung? Dann lasse ich Sie jetzt allein.«
    Jan strich Barbara übers Haar und sagte leise: »Der Herr Professor schläft nicht, er ist tot.«
    »Was sagen Sie? Oh mein Gott, war der Professor am Ende krank?«
    Jan antwortete nicht. Er konnte nicht begreifen, weshalb Barbara diesen Schritt gewählt hatte. Aus Angst vor dem Gefängnis? Sie hätte sich mit ihrem Geld tausendmal absetzen können – so wie Alexander und Joachim. Denen hatte sie ihren Traum ermöglicht, weshalb hatte sie selbst den Tod gewählt? So oft hatten sie zusammengesessen und geredet, und nun wusste er die Antwort nicht.
    Hermanns Blick fiel auf die Sachen auf dem Tisch. »Sind das etwa Schlaftabletten? Um Himmels willen! Der Professor wird sich doch nicht etwa –?« Hermann warf einen schnellen Blick auf den Toten. Kirch sah sehr verändert aus, so lange konnte er doch noch nicht tot sein.
    »Also, wenn hier ein Selbstmord vorliegt«, sagte Hermann gefasst, »dann muss ich die Polizei benachrichtigen.«
    Jan kniete vor Barbara. »Warum?«, murmelte er. »Es hätte eine andere Lösung gegeben. Warum hast du dich mir nicht anvertraut?«
    Hermann trat unruhig von einem Bein auf das andere. Dass es seinem Kollegen nahe ging, verstand er, aber Jans Haltung fand er übertrieben. »Hören Sie, Herr von Stein, ich werde jetzt die Polizei benachrichtigen.«
    Jan nickte.
    Hermann sah den Apparat auf der Bar stehen, merkte, dass das Kabel herausgezogen war, steckte es wieder rein und wählte. Nach dem Anruf sagte er: »Sie bleiben doch hier, bis die Polizei eintrifft?« Hermann sah, dass Jan weinte. »Sie ist gleich hier«, fügte er hinzu, als könne ihn das trösten. »Ich muss nämlich wieder runter, darf mein Häuschen nicht allein lassen.«
    »Gehen Sie nur«, sagte Jan und war froh, als er mit Barbara allein war. Er setzte sich zu ihr und hielt sie im Arm. Und er wünschte sich, sie wäre lebendig und er wäre Alexander.
    Die Polizei kam mit zwei jungen Beamten, einem Arzt und zwei Trägern, die draußen warteten. Jan wusste, sie hatten den Zinksarg mitgebracht, falls der Arzt wirklich den Tod feststellen sollte.
    Die beiden jungen Uniformierten blieben an der Tür stehen. Der Arzt, ein hagerer Mensch mit grämlichen Falten um die Mundwinkel, fühlte Barbara den Puls, hob ihre Augenlider an, schüttelte den Kopf. »Geschminkt«, murmelte er. Er warf Jan einen fast feindlichen Blick zu. »Wer sind Sie denn? Haben Sie angerufen?«
    »Ich bin ein Kollege von Herrn Kirch«, sagte Jan rasch.
    »Ein Kollege, so.« Er warf einen Blick auf die leeren Schachteln. »Das Zeugs und Wodka! Der Mann hat ganze Arbeit geleistet.«
    Jans Finger verkrampften sich, er spürte, wie sich seine Nägel in die Handflächen bohrten. Die beiden

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