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Der Duft des Anderen

Der Duft des Anderen

Titel: Der Duft des Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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den Schultern und zündete sich eine an. Für fünfzig Pfennig Trinkgeld war er nicht verpflichtet, denen die Zigaretten durch den Regen nachzutragen. Er sah auf die Uhr. Halbsieben. Er überlegte, ob er seine Tour weitermachen oder lieber zu Rosi fahren sollte. Rosi verdiente ihr Geld hinter dem Tresen im ›Honeymoon‹ und ließ sich von keinem Mann anfassen, es sei denn, er zahlte. Jan zahlte nicht. Erstens, weil er sich das von seinem Verdienst nicht leisten konnte, und zweitens, weil er sonst sein Campari Soda in einer anderen Bar getrunken hätte, und das wollte Rosi nicht.
    Ein richtiger Mann muss nichts zahlen, hatte sie zu Jan gesagt. Und er sei der einzige richtige Mann, der ihr bisher begegnet sei. Jan hatte schief gegrinst. Früher, als man seine vaterländischen Dienste noch gebraucht hatte, da hatte er sich für einen richtigen Kerl gehalten. Heute durfte er sein Taxi durch ein mauerfreies Berlin lenken, aber hatte ihm das Vorteile gebracht? Er zuckte die Schultern. Eigentlich nicht. Er gehörte zu den Verlierern der Wiedervereinigung.
    Jan war heute doch nicht nach Rosi, und er beschloss, in seine zwei Straßen weiter entfernte Stammkneipe ›Zum Wendehals‹ zu fahren.
    Die Eckkneipe war gut besucht, das schlechte Wetter zahlte sich aus für Wende-Paule, den Wirt. Obwohl er viel zu tun hatte, lächelte er Jan zu und hob die Hand. Wende-Paules richtiger Name war Paul Marschner, ein Mann um die vierzig, im Dienste der Partei immer schlank geblieben, seit einiger Zeit zum Übergewicht neigend. Zu Honeckers Zeiten hatte er das Hohelied des guten Genossen gesungen, jetzt sang er eine andere Melodie, aber stets gut gelaunt und voller Selbstironie, worauf schon der Name seiner Kneipe hinwies. Seine Gäste mochten ihn, und viele hatten früher ohnehin im selben Chor gesungen. Jan Matuschek ließ sich am Tresen nieder und bestellte ein alkoholfreies Bier.
    »Schon Feierabend, Jan?«, fragte der Wirt, während er mit geübter Hand zapfte und vier Biergläser gleichzeitig bediente. Gerda, seine Frau, spülte Gläser. Sie hatte kupferrot gefärbtes Haar und noch eine gute Figur, trotz der beiden Kinder. Sie drehte sich lächelnd um. »Hallo Jan!«
    »Hallo Gerda!« Jan lächelte und versprühte seinen herben Charme, Gerda wurde rot und Paul grinste. »Wenn ich nicht wüsste, dass meine Gerdi so treu wie Gold ist, müsstest du Hausverbot bekommen, Jan Matuschek. Wie kann man nur so unverschämt gut aussehen und nicht beim Film sein?«
    Jan beugte sich nach vorn und tippte Paul auf die Schulter. »Hollywood sucht einen Nachfolger für James Bond, meinst du, ich sollte mich melden?«
    Ein neuer Gast kam herein, nahm die nasse Mütze vom Kopf und schüttelte sie aus.
    »Scheint immer noch zu regnen«, sagte Gerda. Der Mann kam an den Tresen und lächelte verlegen. Jetzt erkannte Gerda ihn. »Erwin? Lässt du dich auch mal wieder bei uns blicken? Habe dich ja lange nicht mehr gesehen. Was soll’s denn sein?«
    »Gib mir erst mal einen Doppelten, Gerda. Bei diesem Mistwetter …« Er unterbrach sich und starrte Jan an. Jan musterte ihn flüchtig, dann hellte sich seine Miene auf. »Erwin? Erwin Köpke?«
    Erwin schluckte, und seine Kinnlade klappte halb herunter.
    »Wie siehst du denn aus? Lebst du jetzt von der Wohlfahrt?«
    Erwin schwankte auf seinem Hocker, er klammerte sich am Tresen fest und riss die Augen auf.
    »Hat es dir die Sprache verschlagen, Erwin? Du kennst mich doch. Ich bin Jan – Jan Matuschek. Oder willst du mich auch nicht mehr kennen wie die anderen?«
    »Silberfuchs«, murmelte Erwin.
    Jan sah sich rasch um. »Na ja, das war ich mal. Ist aber kein Grund, den Namen hier herauszuposaunen. Wie nannten sie dich noch? Goldhamster!« Jan stieß Erwin in die Seite und grinste. »Wegen deiner niedlichen Schneidezähne. Aber sag mal, du siehst wirklich schlecht aus. Hast wohl noch nicht so richtig Fuß fassen können?«
    »Du bist also Jan Matuschek?«, fragte Erwin überflüssigerweise.
    »Na, wer denn sonst? Komm Erwin, so besoffen bist du doch noch gar nicht.«
    Gerda stellte den Doppelten auf den Tresen. Erwin griff danach und kippte ihn hinunter. Er hob langsam die Hand und zeigte auf Jan. »Wenn du Jan bist – wer ist dann der andere?«
    »Welcher andere?«
    Erwin hustete. »Noch einen«, sagte er zu Gerda.
    Jan schüttelte den Kopf. »Ich glaube, du verträgst nichts mehr. Bist ja ganz durcheinander.«
    »Geht schon wieder«, murmelte Erwin. Hastig griff er nach dem Glas, das Gerda ihm

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