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Der Duft des Anderen

Der Duft des Anderen

Titel: Der Duft des Anderen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Ahrens
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dieses ›Verhältnis‹ nicht zur Erpressung taugte. Er überlegte folgerichtig, dass ein eventuelles Geheimnis eher bei Joachim zu suchen war, der seinen Bruder wochenlang bei sich wohnen ließ und ihm offensichtlich auch gleich das Bett seiner Frau angeboten hatte.
    Das Büro, in dem Joachim arbeitete, brachte auch nichts. Joachim machte sehr spät Feierabend und fuhr dann geradeswegs nach Hause. Also leistete sich Erwin ein Taxi und folgte Joachim auf einem seiner Wochenendfahrten, die ihn zu einem unscheinbaren, vierstöckigen Haus führten. Erwin beobachtete den Hauseingang und stellte fest, dass Joachim nicht der einzige Besucher war. Immer wieder kamen gut gekleidete Männer, einige kamen mit dem Taxi, die meisten kamen zu Fuß. Erwin vermutete, dass sie ihre großen Schlitten in einer Seitenstraße geparkt hatten. Ein harmloser Herrenclub oder etwas Konspiratives? Jedenfalls lauter feine Pinkel. Wenn hier etwas faul war, die hatten Kohle.
    Erwin war zwar verarmt, aber er war nicht blöde. In anderer Menschen Privatleben herumzuschnüffeln, war beim MfS sein Lebenszweck gewesen. Er wartete das nächste Wochenende ab und war früh zur Stelle. Als aus einem Taxi ein besonders eindrucksvoller Herr stieg, winkte Erwin dem davonfahrenden Fahrer. Der hielt an, und Erwin stieg ein. »Bitte bringen Sie mich dorthin, wo Sie eben diesen Herrn abgeholt haben. Ich soll dort ein Päckchen für ihn abgeben.«
    Der Taxifahrer nickte, er sah nicht einmal hin, ob Erwin wirklich ein Päckchen bei sich trug. Erwin war höchst überrascht, als sie vor Joachims Büro hielten. Ein Kollege also. Trafen sie sich in dem Haus am Valentinskamp zu geschäftlichen Besprechungen? Oder waren sie einfach Mitglied im selben Verein?
    Das nächste Mal fuhr Erwin mit der U-Bahn. Nachdem er abgewartet hatte, wie zuerst Joachims Kollege und etwa eine Stunde später er selbst eingetroffen war, versuchte Erwin wieder seinen Päckchentrick. Er klingelte unten bei H. Bornemann, Hausmeister. Hans Bornemann, Insidern als Ilse bekannt, flötete durch den Briefschlitz. »Ja? Wer ist denn da?«
    »Paketdienst. Ich habe ein Päckchen für Herrn von Stein.«
    »Woher haben Sie denn diese Adresse?«, kam es scharf.
    Erwin horchte auf, wer so reagierte, hatte etwas zu verbergen. »Steht auf dem Päckchen. Vielleicht etwas Persönliches, das Herr von Stein nicht an seine Privatadresse schicken lassen möchte.«
    »Oh.« Ilse öffnete, Erwin ging zwei Schritte zurück. Eine Puderwolke hüllte ihn ein, zwei stämmige, behaarte Beine sahen unter einer Küchenschürze hervor, die rundherum mit Rüschen besetzt war. Über einem ausladenden Busen bemerkte er ein Doppelkinn, einen Dreitagebart und eine rotblonde Perücke.
    Ilse schwenkte ihre Hüfte aus der Haustür und streckte die Hand aus. Sie bemerkte Erwins ungläubigen Blick. »Nicht in Ohnmacht fallen, mein Süßer. Ich bin halt noch nicht geschminkt. Wo haben wir denn das Paketchen?«
    »Muss – muss ich persönlich überreichen«, stammelte Erwin. Er hielt tatsächlich einen kleinen Karton an die Brust gepresst. Auf dem Kopf trug er, verwegen verkehrt herum, eine Baseballkappe, Paketboten trugen so etwas, glaubte er.
    Ilse musterte ihn von oben bis unten, er schien nicht ihr Typ zu sein. »Na dann! Klingeln Sie im ersten Stock.«
    Erwin schlüpfte an Ilses Oberweite vorbei, die Treppen hinauf. Auf einem bescheidenen Schild rechts von der Tür stand: ›Die Freunde – nur für Mitglieder‹. Auf sein Klingeln erschien eine Frau, die auch keine war – sie sah aus wie die Schwester des Hausmeisters, voluminös und voller Flitter. Erwin hörte leises Lachen und Musik im Hintergrund. Unten klappte eine Tür. Erwin schluckte. »Entschuldigung, ich habe hier ein Paket für Herrn Siebenhals. Der wohnt wohl nicht hier?«
    »Nein!«
    »Dann habe ich mich wohl in der Hausnummer geirrt?«
    »Das haben Sie allerdings«, schnarrte die Walküre, »sowohl was Ihr Paket als auch Sie selbst angeht, mein Herr.«
    »Tut mir leid, gnädige Frau«, murmelte Erwin und machte, dass er davonkam. Ilse steckte den Kopf aus der Tür. »Na?«
    »Ein Irrtum«, rief Erwin und war verschwunden.
    »Ilse?«, rief Rosalie von oben. »Wer war denn das?«
    »Dein neuer Verehrer!«, brummte Ilse und verschwand rasch in ihrer Wohnung, bevor Rosalie sie beschimpfen konnte.
    ***
    Erwin war auf eine Goldmine gestoßen. Ein Club, in dem lauter gut situierte Herren, womöglich Spitzen von Wirtschaft und Politik, sich in Frauenkleidern

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