Der Duft des Anderen
zwingen können, ihren Namen preiszugeben, aber einer hätte ihr folgen müssen.« Alexander lächelte missvergnügt. »Auch ich mache Fehler.«
Joachim atmete einmal tief durch. Jetzt befanden sie sich wieder auf einer Linie. Alexander war hinreißend, aber es war manchmal schwer, in ihrer Beziehung das nötige Gleichgewicht zu wahren. »Wir werden also noch einmal Detektiv spielen müssen. Fangen wir bei Luigi an, der hat sie mitgebracht.«
26
Die erste Septemberwoche hatte herbstliche Sonne in die Stadt und weihnachtliche Pfefferkuchen in die Läden gebracht. Barbara merkte nichts von den Pfefferkuchen und von der Sonne nur das, was durch ihr Atelierfenster schien. Seit über einer Woche hatte sie das Haus nicht mehr verlassen. Telefonisch war sie nicht zu erreichen, Termine als Barbara Waszcynski hatte sie in der nächsten Zeit keine. In der Küche lagerte sie Reis und Kartoffeln, davon ernährte sie sich. Reis mit Apfelmus, Reis mit Currysoße, Kartoffelsalat, Bratkartoffeln, dann wieder Reis mit Apfelmus. Es war ihr egal, was sie aß, manchmal vergaß sie das Essen auch ganz. Dafür konsumierte sie oben auf dem Boden Unmengen von Kaffee, der hielt sie wach. Sie malte wie besessen Alexanderbilder. Alexander von vorn, im Profil, nackt und bekleidet, Alexander im Sessel sitzend und rauchend, Alexander an der Bar, Alexander als mittelalterlicher Henker, Alexander als römischer Feldherr. Manche Bilder ließ sie unvollendet oder skizzierte nur die Umrisse. Sie signierte mit Alexander Kirch und setzte, was ganz unüblich war, den Titel darunter: Selbstbildnis.
Wenn sie unten in der Küche war, beobachtete sie eine Zeit lang die Gartenpforte, nicht ängstlich, eher ungeduldig, als erwarte sie jemanden. Ihre Ungeduld wuchs in der zweiten Woche. Und dann endlich an einem späten Nachmittag klingelte es. In ihrem Malerkittel lief Barbara ans Küchenfenster. Ja, es war Jan. Jetzt würde sie endlich erfahren, wie sich ihre kleine Nachricht ausgewirkt hatte. »Moment, ich bin gerade im Bad«, rief sie, und dann geschah das Umgekehrte. Sie zog ihren Malerkittel aus und legte ihre ›männlichen‹ Utensilien ab. Anschließend bürstete sie ihr schulterlanges Haar, schlüpfte in Rock und Bluse und zierliche Pantoffeln. Sascha – nein, Alexander, verwandelte sich für seinen heterosexuellen Freund in eine Frau.
Die Begrüßung war herzlich, eine freundschaftliche Umarmung, freundschaftliche Wangenküsse, Barbara entschuldigte sich wegen der Farbflecken auf Armen und Händen, sie habe gerade gemalt und so schnell gingen die nicht ab.
»In Rock und Bluse?«, grinste Jan.
»Ich hatte natürlich einen Kittel an.«
Jan sah sich um. »Und wo malst du?«
»Auf dem Boden. – Nein, nein, du darfst nicht hinauf, das ist mein Reich, das musst du verstehen.«
Etwas später hatte Barbara Kaffee gemacht und auch ein paar Kekse von der Sorte der ewig Haltbaren dazugelegt. »Prima siehst du aus, Jan. Braun gebrannt, erholt. War sicher toll, der Urlaub?«
»Die Bräune ist schon wieder weg. Aber schön war es – allerdings mit dir wäre es noch schöner gewesen.«
»Jan!« Barbara hob den Zeigefinger.
Jan grinste und sah dabei unverschämt gut aus. »Aber Barbara. Könnten zwei gute Freunde nicht miteinander in Urlaub fahren?«
»Bei getrennten Zimmern wäre das möglich«, nickte sie. »Nun erzähl mal ein bisschen, ich bin neugierig.«
Jan handelte Sardinien in wenigen Sätzen ab, es gab auch wirklich nichts zu berichten, was nicht in jedem anderen Mittelmeerurlaub auch geschehen wäre. Er ließ eine kleine Pause einfließen, indem er im Zimmer herumwanderte und ihre Bilder bewunderte. »Malen kannst du ja, aber sei ehrlich, Barbara, sind die Motive nicht ein bisschen spießig?«
»Ich habe eine Klientel, die mag so etwas, und häufig lade ich meine Kunden zu mir ein, dann fühlen sie sich gleich heimisch, verstehst du? Ich male auch andere Sachen.«
»Und wo hast du die versteckt?«
»Verkauft, leider alle verkauft.«
Jan setzte sich wieder. »Das nächste Bild malst du für mich, ja? Ich kaufe es dir auch ab, aber nicht zu einem Wahnsinnspreis.«
»Du musst nur sagen, was du gern hättest. Ich schenke es dir selbstverständlich.«
Jan wurde etwas rot. »Ich wüsste schon was. Malst du auch Porträts nach Fotos?«
»Oft. Wen soll ich denn malen?«
»Meine Mutter.« Jan griff in die Hosentasche und holte sein Portemonnaie heraus. Er klappte es auf und zeigte ihr ein Farbfoto, wo seine Mutter lächelnd im
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