Der Duft des Apfelgartens
Tisch am Sofa türmen sich Zeitungen, noch mehr Bücher – ein paar davon gehören Jakey – und einige Zeitschriften.
Janna setzt sich wieder ans Ende des Sofas und nimmt ein paar kleine Bücher. Bald hat sie sich in Mademoiselle Eichkatz, Meister Lampe und Graupfötchen vertieft. Die bezaubernden Illustrationen von Margaret Tempest entzücken sie: das Indigoblau des nächtlichen Himmels mit seinen leuchtenden Sternen; der kleine Igel in seinem zerfledderten Kittel, durch den die Stacheln stechen; die behaglichen Interieurs. Sie hat Jakey diese Geschichten schon oft vorgelesen, doch jetzt liest sie sie noch einmal. Fast kann sie die köstliche Kälte auf der Zunge schmecken, die man spürt, wenn man an einem kalten Wintermorgen an langen Eiszapfen lutscht, und fühlt das Entsetzen, als die Gruppe vom Eislaufen zurückkommt und entdeckt, dass die schreckliche Ratte in Eichkatz’ Bett schläft. Dieser Teil gefällt Jakey besonders.
»Und sie hat ihr ganzesss Picknick aufgegesssen!«, schreit er dann und reißt in einer Mischung aus Entsetzen und Freude die Augen auf, damit sie auch angemessen schockiert ist. Die Geschichten von Alison Uttley haben in ihrer eigenen Kindheit keine Rolle gespielt, aber jetzt liebt sie diese Bücher, die einmal Dossie gehört haben, ebenso wie Jakey.
Janna hat keine Ahnung, wie lange sie schon darin versunken ist, als sie in dem Zimmer über sich nackte Füße tappen hört. Sie hebt den Kopf und lauscht, doch Jakey ruft nicht. Es ist einfach still. All ihre Sinne sind jetzt geschärft, und sie steht auf und läuft rasch die Treppe hinauf. Behutsam schiebt sie die Tür zu seinem Zimmer weiter auf und späht hinein. Er hat die Vorhänge zurückgezogen, und sie erkennt im Mondschein seine Silhouette. Auf Zehenspitzen steht er am Fenster und sieht nach draußen.
»Jakey.« Sie flüstert seinen Namen beinahe, weil sie sich fürchtet, ihn zu erschrecken, und fragt sich, ob er schlafwandelt. »Alles in Ordnung, Liebchen?«
Jakey dreht sich zu ihr um. Er ist hellwach und freut sich, sie zu sehen.
»Issst Dosssie ssson weg?«, fragt er.
Sie nickt. »Solltest du nicht im warmen Bett liegen?«
»Tante Gabriel issst da«, erklärt er und zeigt zum Fenster. »Sie kommt oft, wenn der Mond ssseint. Ich wussste, dasss sie heute Abend kommt.«
Rasch tritt Janna ans Fenster, legt einen Arm um ihn und schaut hinaus, wobei sie darauf achtet, selbst im Schatten zu bleiben. Sie kann die helle und eher stämmige Gestalt zwischen den silbrigen Baumstämmen erkennen.
»Sie winkt nie zurück, weil sie ihr Herz in den Händen hat. Siehst du?« Er wedelt mit der Hand, aber die Gestalt rührt sich nicht, sondern neigt nur den Kopf, was Janna an etwas erinnert. Ihr Herz schlägt schnell, und sie überlegt, was sie tun soll. Auf keinen Fall darf sie Jakey Angst einjagen.
»Sie soll reinkommen, damit ich mit ihr reden und sie richtig sehen kann«, sagt er. »Kannssst du runtergehen und sie reinbitten, Janna?«
»Nein, nein, Liebchen«, gibt sie schnell zurück. »Man darf Engel nicht wie normale Menschen behandeln. Das hat keinen Sinn. Sie würde einfach verschwinden. Sie ist nur gekommen, um nachzusehen, ob es dir gut geht, und um dir schöne Träume zu wünschen. Jetzt wink ihr noch einmal und geh dann wieder ins Bett, sonst wird dir kalt.«
Gehorsam, aber ziemlich betrübt winkt er und zieht die Vorhänge wieder zu. »Ich wünssste, sie würde reinkommen«, meint er. »Da draussssen issst ihr sicher kalt, und wir könnten ihr Tee kochen.«
Sie steckt die Decken um ihn fest. »Sie würde keinen Tee annehmen. Da sind Engel eigen. Meinst du, du kannst einschlafen?«
Er nickt, drückt den Streifenhasen an sich und steckt den Daumen in den Mund. Sie kauert sich neben ihn und streicht das blassblonde Haar glatt. Bald fallen ihm die Augen zu, und sein Atem geht langsamer und regelmäßiger. Janna steht auf und tritt ein Stück vom Bett weg, beobachtet ihn aber weiter.
Er regt sich nicht, und sie hebt ganz vorsichtig eine Ecke des Vorhangs: Die Gestalt ist noch da.
Rasch läuft Janna nach unten, in die Küche und aus der Hintertür. Lautlos tritt sie um die Hausecke, überquert die Auffahrt, die im Schatten des Tores liegt, und nähert sich der Gestalt von der Seite. Behutsam nimmt sie Schwester Nicolas Arm, umschlingt sie und spricht sie leise an. Die alte Nonne wirkt überrascht und erfreut darüber, Janna zu sehen; hält jedoch weiter ihren Stock mit beiden Händen fest, stützt sich darauf und schaut
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