Der Duft des Blutes
Sache. Ob im Kaiserkeller in der Großen Freiheit oder im Cult, in der Lounge in der Gerhardstraße oder im Tiefenrausch in der Hopfenstraße, die jungen Hamburger drängten sich unter nervös zuckenden Scheinwerfern auf den nebelwabernden Tanzflächen oder standen in kleinen Grüppchen um die Bars. Die Musik drang bis auf die Straße hinaus und manches Mal auch bis zum nächsten Block, sodass die Nachtschwärmer, die mit einer Flasche Bier in der Hand auf der Straße zusammenstanden, auch noch etwas von dem dröhnenden Sound hatten.
Zwei Männer traten zum Türsteher des Cubics und redeten auf ihn ein. Der eine war klein, mit einer breiten Brust und kräftigen Beinen, der andere mittelgroß mit schwarzem Haar und südländischen Gesichtszügen. Der Kleine zog eine Fotografie aus der Tasche und zeigte sie dem Türsteher, doch dieser schüttelte den Kopf.
„Bist du sicher?", fragte der andere und legte ihm die mit einem Skorpion tätowierte Hand auf den Arm. Der Türsteher nickte, doch dann stieß er den Kleinen in die Seite. Er deutete die Straße hinunter auf eine Frau, die unsicheren Schrittes näher kam. Der Mann steckte das Foto wieder ein, und die beiden verschwanden rasch in einem nahen Hauseingang.
Die Handtasche fest an den Körper gepresst, schwankte Nadine an dem Türsteher vorbei, bezahlte und drängte sich dann zwischen den verschwitzten Leibern hindurch in Richtung Bar. Die beiden Männer, die sich an ihre Fersen hängten, bemerkte sie nicht.
Die Verfolger beobachteten die junge Frau einige Minuten, dann gab der Skorpionmann dem anderen einen Wink. Mit zwei Schritten war er hinter Nadine, legte ihr den kräftigen linken Arm um die Taille und zog sie mit einem Ruck an sich.
„Mach keinen Aufstand und komm ganz brav mit!", raunte er ihr ins Ohr.
Sie konnte seine Worte zwar nicht verstehen, doch die Messerspitze, die sich in ihren Rücken bohrte, sprach deutlich für sich. Widerstandslos ließ sich Nadine aus dem Cubics führen. Draußen schoben sie die Männer ein Stück die Simon-von-Utrecht-Straße enüang und zerrten sie dann in einen dunklen Hinterhof.
„Du meinst also, du kannst uns verarschen?", sagte der Skorpionmann gefährlich leise und schlug ihr dann unvermittelt ins Gesicht. Blut schoss ihr aus der Nase. Der kurze Weg von der Disco hierher hatte sie völlig nüchtern gemacht. Sie wusste, wer die beiden Männer waren und was sie mit ihr machen würden. Die Angst kroch tödlich kalt an ihr herauf.
„Wenn wir hier mit dir fertig sind, dann wird dich deine eigene Mutter nicht mehr wiedererkennen", grinste der Kleine und ließ die Klinge seines Messers ein paarmal geräuschvoll einschnappen.
„Alles zu seiner Zeit", knurrte der Skorpion und zog sich den Reißverschluss seiner Hose auf. „Solange sie noch am Stück ist, können wir es ihr auch erst mal richtig besorgen."
Er packte Nadine an den Haaren und drückte ihren Oberkörper auf einen Mülleimer hinunter. Dann riss er ihr grob den Rock herunter.
Die Hände in den Hosentaschen vergraben, spazierte Peter von Borgo vom Millerntorplatz die Reeperbahn entlang. Er beachtete weder die grölenden Betrunkenen, die an ihm vorbeischwankten, noch das Hupen der Autos, die sich in einer dichten Schlange über die Reeperbahn wälzten. In seinen Gedanken tauchte er in die Vergangenheit ein und wandelte durch eine Zeit, als Hamburg sich noch durch Wall und Graben vom Hamburger Berg mit seinem Vergnügungsviertel abgrenzte, als das Millerntor noch um halb sieben geschlossen wurde und die Seeleute von St. Pauli ihre Nächte unter ihresgleichen zubrachten. Ein Lächeln huschte über seine Lippen, als er an den gescheiterten Aufstand an einem Märztag 1848 zurückdachte.
Es war schon dunkel, als sich die Menschen im Fackelschein vor dem Tor zusammenrotteten. „Es lebe die Freiheit!", schrien sie und: „Weg mit der Torsperre." Es waren die Männer und Frauen der Vorstadt, die sich nicht nur über das Sperrgeld ereiferten. Vor allem die ungerechten Zölle brachten die Armen in Rage. Während ihnen verboten war, Waren in Hamburg zu verkaufen, überschütteten die Hamburger St. Pauli mit ihrem billigen Zeug. Das würden sie sich nicht länger bieten lassen. Vom Zorn und Alkohol aufgeheizt, stürmte die Menge das Tor und zündete das Wachhaus an. Ein Triumphschrei schwang sich in den Himmel, als das Tor brach, doch der Sieg war nicht von langer Dauer. Das Bürgermilitär schlug zurück. Am Ende gab es einen toten Maurermeister, verletzte Frauen und
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