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Der Duft des Jacaranda-Baums (German Edition)

Der Duft des Jacaranda-Baums (German Edition)

Titel: Der Duft des Jacaranda-Baums (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christin Busch
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Wolkenschleier um die Kämme herumzogen, oder auch, wie sich dieselben Wolkenschleier bei schlechtem Wetter zu einer dicken Decke zusammenfügten, die die einzelnen Häuser von oben bis ins Tal hinunter in einen lautlosen Nebel hüllte. Oft nur einen Tag später war dieser Spuk wieder vorüber, und ein strahlend blauer Himmel ließ die Sonne ungehindert scheinen, sodass die Wellen derartig funkelten, dass man geblendet die Augen zusammenkneifen musste.
    Ich beneidete die Leute, die uns die Finca vermietet hatten, und fragte eines Tages ihre etwa zwanzigjährige Tochter bei der Gartenarbeit, ob es nicht herrlich sei, so am Meer zu wohnen und jeden Tag diesen Ausblick zu haben. Sie überlegte einen Moment und antwortete dann: ›Ich sehe den Atlantischen Ozean an jedem Tag morgens, mittags und abends. Ich kann ihn manchmal nicht mehr sehen, weil ich ihn so oft sehe. Das Meer ist für mich nichts Besonderes, ich bin damit groß gewordene.‹«
    Sarah machte eine kleine Pause und sah dann Oliver wieder an.
    »Ist das nicht traurig? Wäre es nicht todtraurig, wenn es allen so ginge? Ich meine, dass man sich an etwas Schönes oder Wichtiges einfach gewöhnt und es als nichts Besonderes mehr empfindet, nur weil es eben da ist? Ich habe eine ganze Weile darüber nachgedacht. Gut, ich war das Meer nicht gewohnt, und für mich war es etwas Besonderes. Also stellte ich mir mein Zuhause vor, dasHaus, in dem ich aufgewachsen bin, den Garten, in dem ich mit meinen Brüdern gespielt hatte, die alte efeubewachsene Eiche, die ich von meinem Fenster aus sehen konnte. Alles Dinge, an die ich gewohnt war. Zugegeben, ich bin darüber nicht täglich in Euphorie ausgebrochen, aber ich habe oft als Teenager bei den Hausaufgaben aus dem Fenster geschaut und die kahlen Äste der riesigen Eiche im Winterwind beobachtet. Ich habe mich im Frühling über die dicken hellgrünen Knospen gefreut, genauso wie über die vielen Vogelarten, die im Efeu an dem alten Stamm Nester bauten und diesen Stamm – ähnlich wie ein Mehrfamilienhaus – bewohnten. Ich konnte mich darüber freuen, obwohl ich es jeden Tag sah.« Sie seufzte plötzlich niedergeschlagen. »Manchmal frage ich mich, ob ich nicht normal bin, weil ich mich nicht einfach an so etwas gewöhnen will.« Sarah schluckte kurz und holte Luft. »Auch Wolf hatte sich offenbar einfach zu sehr an mich gewöhnt. Ich war nichts Besonderes mehr. Dabei standen wir uns doch so nah. Ist das so, Oliver? Gewöhnen sich Menschen so aneinander, dass sie nicht mehr wahrnehmen, wie wichtig sie doch einmal füreinander waren? Ist das der normale Lauf der Zeit?«
    Oliver hatte mit wachsendem Ernst zugehört. Unbewusst sog er alle Gedanken, die Sarah ihm offenbarte, in sich auf und fügte sie insgeheim wie ein Puzzle von ihr zusammen, das er schon längst in sein Herz geschlossen hatte. Niemandem außer Kelly war er, was Gefühle und Gedanken anging, zuvor so nahe gekommen. Er betrachtete das Vertrauen, das sie ihm entgegenbrachte, als Geschenk und lernte sie täglich mehr kennen. Kaum etwas war ihm unerträglicher geworden, als diesen Ausdruck von Verletzbarkeit und Trauer in ihren Augen zu sehen. Nichts wünschte er sich mehr, als sie diese Enttäuschung vergessen lassen zu können. Dennoch war es ja nicht so, dass sie ständig mit ihrem Schicksal haderte. Nein, sie schien einfach verzweifelt auf der Suche nach Erklärungen. Sie wollte verstehen, was eigentlich in ihrem Leben so gänzlich schief gelaufen war.
    Oliver fragte sich mit einem Hauch Bitterkeit, wie vieler Enttäuschungen es bedurfte, damit ein Mensch dieses Maß an Einsicht und Erkenntnis erwarb, welches Sarah ihm jetzt fast schon verzweifelt offenbarte und das auch ihm selbst seit Kellys Tod nicht fremd war. Er fühlte Sarahs abwartenden Blick und riss sich zusammen.
    »Weißt du, Sarah, das ist wirklich eine schwierige Frage, ob Menschen sich an alles gewöhnen. Ich glaube, man kann sie ebenso wenig pauschal mit Ja oder Nein beantworten, wie es im Leben auch nicht nur schwarz und weiß gibt. Sicher ist der Anteil Menschen, die sich solche Gedanken machen wie du, geringer als der jener, die sich nach einiger Zeit an einfach alles Schöne wie selbstverständlich gewöhnen. Was Liebe und Partnerschaft angeht, sollten beide Seiten immer wieder umeinander kämpfen, sich mit kleinen Highlights aus dem Alltag reißen, damit nicht die Gewohnheit und der Alltagstrott alles Spannende der Anfangszeit ersticken. Diese Bereitschaft, umeinander zu kämpfen,

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