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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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selbst nicht einmal gesehen. Allmählich stieg Angst in ihr hoch, Verwirrtheit und die vage Ahnung, dass sie sich vielleicht in einem Traum befand.
    »Señorita!«
    Schlagartig wurde es hell. Die Sonne blendete so stark, dass Alice Mariana nur noch als einen Schatten an ihrer Seite wahrnehmen konnte. Die indianischen Gestalten waren mit dem Erwachen verschwunden, es gab hier nur sie, den Hund und Julio, der die Treppen zum Palast heraufeilte. Er trug weder Früchte noch eine Flasche, was Alice ärgerte. Hatte der Junge seinen Auftrag so schnell vergessen?
    »Por favor, bitte kommen Sie! Vielleicht können Sie etwas ausrichten. Dem Amerikaner ist es egal«, rief er, mühsam nach Luft schnappend, und zerrte an ihrem Arm, sobald er sie erreicht hatte. Mariana bellte.
    »Was ist denn los?«, fragte Alice ungehalten und sammelte ihre Utensilien ein.
    »Domingo. Ein Freund von mir. Ich glaube, sie bringen ihn um.«
    Nun sah sie Tränen in Julios Augen glänzen, stand auf und klopfte Staub von ihrem Rock.
    »Wer bringt diesen Domingo um? Und warum?«
    »Die Aufseher. Bitte kommen Sie endlich!«
    Er packte noch mal ihren Ärmel und zerrte sie die Stufen hinab. Mariana sprang hechelnd hinterher, während sie im Eilschritt zu einem der anderen großen Tempel liefen, wo Arbeiter seit Tagen damit beschäftigt waren, uraltes Menschenwerk aus den Klauen des Dschungels zu befreien. Doch nun hatte ein Ereignis sie abgelenkt, denn sie bildeten eine Traube am hinteren Ende des dritten Tempels. Julio zog sie mitten hinein. Schreie und ein Stöhnen drangen an ihr Ohr, während der Junge die Leute zur Seite schubste.
    »Sehen Sie, Señorita, tun Sie etwas!«
    Alice sah einen jungen Mann, der am Boden lag, während zwei Männer mit Stöcken auf ihn eindroschen. Sein Rücken hatte sich bereits in eine blutige Masse verwandelt, und er regte sich nicht mehr. Ein Stück daneben hockte eine wimmernde Indianerin, die ihre Hände gefaltet hatte und sich mit lautem Klagen an eine abwesende Gottheit wandte. Die Männer hoben ihre Stöcke zu einem weiteren kraftvollen Hieb.
    »Was soll das?«, sagte Alice zunächst in normaler Lautstärke. Als niemand reagierte, packte sie mit beiden Händen den Arm eines der Aufseher, wurde jedoch abgeschüttelt wie ein lästiges Insekt. Die Stöcke sausten erneut auf den leblosen Mann nieder. Alice warf sich über die reglose Gestalt, die einzige Möglichkeit, einen halb toten Menschen vor weiteren Schlägen zu schützen.
    »Jetzt hört auf damit!«, brüllte sie in ihrem besten Spanisch. Sie spürte, wie ihre Bluse sich mit dem Blut des Verletzten vollsaugte. Über ihr schwebte nur noch ein einziger Schlagstock in der Luft, der andere war bereits verschwunden. Dahinter sah sie ein weit auseinanderstehendes braunes Augenpaar, in dem Zorn sich mit einer plötzlich aufflackernden Lust mischte. Es war jener Martin, den sie bereits einmal zurechtgewiesen hatte. Alice spürte sein Verlangen, den Stock auf ihren Körper niedersausen zu lassen, wollte sich ducken oder fliehen, doch sein Schlag wäre sicher schneller. Unter den umstehenden, ratlos starrenden Menschen erkannte sie Julios besorgtes Gesicht und war sich sicher, dass der Junge sie nicht nur für seine Zwecke benutzte, sondern wirklich mochte. Mit beiden Händen hielt er den Hals einer wild kläffenden Mariana umklammert.
    »Da kommt der Patron!«, rief er laut und wies in die entgegengesetzte Richtung. Der Schlagstock verharrte, und Alice wagte sich langsam in eine kniende Position. Der verletzte Mann zeigte immer noch keine Regung, doch sie sah, wie seine Brust sich in regelmäßigen Atemzügen hob und senkte. Das Wimmern der betenden Indianerin war leiser geworden und vermischte sich mit dem Gemurmel der Umstehenden.
    »Was in aller Welt geht hier vor?«, fragte Dr. Scarsdale. Der Schlagstock verschwand wie von Zauberhand, stattdessen schob das faltige Gesicht des Archäologen sich vor den Himmel über ihr.
    »Mein Gott, Miss Wegener! Ist Ihnen etwas geschehen?«, rief er auf Englisch und reichte ihr seine Hand.
    »Nein, zum Glück nicht. Aber ich wurde bedroht. Von diesem Martin.«
    Sie streckte anklagend einen Finger in die Richtung des Aufsehers, der steif dastand und Alice mit kalter Verachtung musterte.
    »Du kannst gehen. Ich brauche dich hier nicht mehr«, wurde er von Dr. Scarsdale verabschiedet.
    »Aber, Patron, sie hat sich eingemischt. Wir mussten einen aufsässigen Indio strafen, und sie warf sich einfach auf ihn. Wir wollten ihr nichts tun«,

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