Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
Vom Netzwerk:
dann … jemand muss das melden.«
    Leider hatte sie nicht die geringste Ahnung, wem es gemeldet werden sollte. Die einzige anwesende Autoritätsperson war Dr. Scarsdale, doch der hatte andere Dinge im Kopf als das Schicksal von Indianern.
    »Sie werden sagen, dass es ein Unfall war«, widersprach Julio. »Dass er in eine Schlucht fiel, weil er weglaufen wollte. Wer soll das Gegenteil beweisen?«
    Er war etwas näher an Alice herangetreten, als erhoffe er sich trotz allem Schutz von ihr.
    »Dr. Scarsdale!«, rief Alice dem Archäologen zu. »Sehen Sie doch, wer hier ist!«
    »Nein!«, zischte Julio, der zwar kein Englisch sprach, aber den Namen verstanden hatte. »Sagen Sie ihm bitte nicht, wer ich bin. Wenn er mich nicht erkennt, dann liefert er mich auch nicht aus.«
    Alice schüttelte ratlos den Kopf.
    »Wem sollte er dich denn ausliefern?«
    Julio hob zögernd die Hand, als wolle er sie am Ärmel zupfen, wagte es aber nicht.
    »Señorita, ich weiß, Sie sind nett. Passen Sie bitte auf, dass ich nicht zurückmuss. In die Montería, wo sie Bäume fällen.«
    Alice hatte zwar keine Ahnung, wo sich dieser Ort befand, doch sie versprach Julio, dass er in Palenque bleiben konnte. Sie würde seine Unterstützung brauchen können. Sogleich lief er los, um ihre Habseligkeiten in die Hütte zu schleppen, gelegentlich behindert von Mariana, die erfreut um seine Beine sprang. Schließlich wurde auf Anweisung von Dr. Scarsdale eine aus Pflanzenfasern gewebte Matte hereingetragen und neben Alice’ Habseligkeiten ausgerollt. Sie begriff, dass sie auf ihr schlafen würde. In dem Indio-Dorf, in das Andrés sie hatte bringen lassen, hatte sie bereits auf so einem Geflecht gelegen. Es milderte kaum die Härte des Bodens, schützte vielleicht vor Kälte, doch hier waren die Nächte schwülwarm. Alice seufzte, wusste aber, dass sie die nächste Zeit auf Komfort verzichten müsste. Zum Glück besaß sie ein Moskitonetz, vor den Ameisen konnte es sie aber nicht bewahren.
    »Was ist eigentlich mit deinem Bruder?«, fragte sie Julio, nachdem die Einrichtung der Hütte beendet war. Er senkte den Blick.
    »Er ist jetzt sicher dort. In der Montería. Wenn er noch lebt. Sie schickten uns hin, um die Schulden unseres Vaters abzuarbeiten.«
    Alice ahnte, dass etwas Schlimmes geschehen war.
    »Aber wieso bist du jetzt in Palenque?«
    Julio trat sehr nahe an sie heran und flüsterte:
    »Ich bin unterwegs geflohen. Mein Bruder versuchte es auch, aber sie haben ihn gefangen. Ich weiß, ich hätte zurückkommen sollen, um bei ihm zu sein, aber ich wollte einfach nicht.«
    Er sah sie mit schuldbewusster Miene an und hoffte auf Vergebung. Alice strich ihm über das schmutzige Haar.
    »Was ist denn so schlimm an diesem Ort, wo sie euch hinbrachten?«
    Nun bekam er jenen Blick, den sie manchmal an Andrés gesehen hatte: Ungeduld und mühsame Nachsicht angesichts einer Frage, die ihm unglaublich dumm erscheinen musste.
    »Dort schinden sie uns tot. Kaum einer, den sie dort zum Bäumefällen hinbrachten, kommt lebend zurück.«
    Alice brauchte eine Weile, um diese Aussage zu verdauen. Es konnte sich um Übertreibungen handeln, Schreckensgeschichten, wie sie unter einfachen Leuten kursierten. Sie wusste es nicht.
    »In dem Fall war es sehr vernünftig von dir wegzulaufen«, sagte sie. »Vielleicht schafft dein Bruder es ja auch noch. Was führte dich denn ausgerechnet nach Palenque?«
    Julio zuckte mit den Schultern, während er ihr half, ihre Habseligkeiten so in der Hütte zu verstauen, dass man sich noch bewegen konnte.
    »Ich wollte nach Hause, aber ich wusste den Weg nicht genau. So lief ich einfach durch den Dschungel. Die Aufseher von hier haben mich gefunden. Ich hatte Glück, denn sie brauchten Leute. Deshalb vermieden sie es, bei der Montería nachzufragen, ob vielleicht jemand vermisst wird.«
    Alice verstaute ihre in Tücher gewickelten Bilder auf dem Koffer, denn es schien ihr gefährlich, sie einfach auf den Boden zu legen. Dann wandte sie sich zu Julio um, musterte sein müdes, früh gealtertes Gesicht. Selbst wenn einige seiner Geschichten übertrieben waren, so musste er doch viel mitgemacht haben.
    »Du stehst von nun an in meinem Dienst«, versicherte sie. »Ich sorge dafür, dass dich keiner fortschickt.«
    Kurz blitzten seine Augen freudig auf, aber dann erschien ein harter Zug um seinen Mund, den sie bisher nicht wahrgenommen hatte.
    »Bekomme ich Geld von Ihnen?«
    Sie runzelte die Stirn.
    »Ja, drei Centavos am Tag.« Sie hatte

Weitere Kostenlose Bücher