Der Duft des Regenwalds
Vorkommnisse hier vermeiden, daher habe ich die Besuche von Frauen untersagt. Das Problem ist, dass die indianischen Männer meist sehr an ihren Familien hängen.«
Nur ein eingefleischter Eigenbrötler wie dieser Archäologe konnte ein solches Verhalten bei Männern als Problem betrachten, dachte Alice und unterdrückte ein Grinsen.
»So kommen immer wieder Frauen hierher, und immer wieder gibt es Ärger«, beschwerte sich Dr. Scarsdale.
»Das klingt ja, als würden Sie den Frauen die Schuld geben. Warum stellen Sie derart brutale Männer ein? Ich bin mir sicher, dass die auch anderweitig genug Anlässe zum Schlagen finden.«
»Mitunter, das ist richtig.« Dr. Scarsdale attackierte mit einer leicht verbogenen Messinggabel weiter unbeirrt seine Tortilla. »Aber ich habe gesagt, dass ich keine öffentlichen Auspeitschungen wünsche, und daran hielt man sich bisher. Ich brauche die Aufseher, Miss Wegener. Sie können mit den Indianern umgehen. In Mexiko muss ein Mann ein Pferd und eine Schusswaffe haben, außerdem mehrere Mätressen. Wenn etwas nicht nach seinem Kopf geht, dann muss er mit der Peitsche knallen und kräftig brüllen. Einen verstaubten Gelehrten wie mich nimmt man hierzulande nicht besonders ernst.«
Er stieß ein trockenes Lachen aus, der erste Hinweis darauf, dass er so etwas wie Humor besaß. Alice stocherte auf ihrem Teller herum. Ihr Magen hatte sich wütend zusammengezogen und verlangte nicht mehr nach Nahrung.
»Hans Bohremann ist nicht so und genießt großes Ansehen«, widersprach sie.
»Weil er die richtigen Aufseher beschäftigt«, erwiderte der Archäologe. Dann räusperte er sich wieder und ließ die Gabel sinken, um ihr eindringlich ins Gesicht zu sehen.
»Es gab hauptsächlich Probleme, wenn hier irgendwelche Frauen auftauchten. Ansonsten machten die Aufseher und auch die Indios einfach ihre Arbeit. Leider hat auch Ihre Anwesenheit für Unruhe gesorgt.«
Alice griff nach dem Rotweinbecher und nahm einen tiefen Schluck, um sich zu beruhigen. Sie hatte keinen derart unangenehmen Verlauf des Gesprächs erwartet.
»Eine Person wie Sie sorgt in einer reinen Männerwelt naturgemäß für Aufsehen«, sagte Dr. Scarsdale mit der Andeutung eines Lächelns. »Mit Ihrer heutigen Einmischung haben Sie die Aufseher provoziert. Sie ließen mir keine andere Wahl, als Martin zu entlassen, obwohl er sehr zuverlässig war. Seine Freunde grollen mir deshalb. Ich weiß nicht, wie viel Zeit Sie noch in Palenque verbringen wollen, und will Sie natürlich nicht zur Abreise drängen, aber ich wäre Ihnen dankbar, wenn es nicht mehr zu solchen Vorfällen käme.«
Der Wunsch, ihm den restlichen Wein ins Gesicht zu schütten, wurde so stark, dass Alice ein paarmal durchatmen musste, bevor sie einigermaßen gefasst antworten konnte.
»Welches Verhalten hätten Sie denn heute von mir erwartet? Dass ich in Ruhe zusehen, wie ein Mensch totgeschlagen wird?«
»Nein, das mit Sicherheit nicht. Aber mir scheint, dass Sie ein wenig übertreiben. An ein paar Hieben stirbt ein ausgewachsener Mann nicht so schnell. Sie hätten mich einfach holen können, um den unschönen Vorfall zu beenden. Der melodramatische Auftritt als Retterin war nicht nötig.«
Alice legte beide Hände auf den Tisch.
»Mir schien mein Auftritt nicht im Geringsten melodramatisch.«
Sie holte Luft, sprach die wütenden Worte, die ihr auf der Zunge lagen, aber nicht aus. Es wäre unklug, es sich mit dem Archäologen zu verderben, denn sie wollte noch einige Zeit in Palenque bleiben.
»Aber ich bedauere es, für Unruhe gesorgt zu haben«, zwang sie sich zu sagen. »In Zukunft werde ich mich aus Konflikten heraushalten.«
Obwohl Alice sich keine besonderen Talente als Lügnerin zutraute, schenkte Dr. Scarsdale ihr nun ein ehrliches, zufriedenes Lächeln.
»Es freut mich, dass Sie so vernünftig sind. Reden wir nicht mehr davon. Wie gefällt Ihnen Palenque?«
Alice beschrieb ihre Eindrücke und holte den mitgebrachten Skizzenblock hervor. Die Notwendigkeit, sich bei der Forschungsarbeit als nützlich zu erweisen, war ihr während des Gesprächs noch bewusster geworden.
»Gut, sehr gut«, kommentierte Dr. Scarsdale. »Sie haben einen bemerkenswerten Blick für Details, noch mehr als Ihr Bruder.«
Seine Augen leuchteten, als hätte er Alice auf einmal ins Herz geschlossen, was ihre Erwartungen bei Weitem übertraf.
»Es wäre sehr hilfreich, wenn Sie weitere solcher Skizzen anfertigen würden. Vielleicht können sie in einem Buch
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