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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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wollte ihm nicht zumuten, irgendwann an einem Straßenrand im Staub zu krepieren. Aber was würde aus Julio werden? Vermutlich ein gewöhnlicher Peon, der auf einer Plantage oder in diesen Monterías schuftete, bis ihn alle Kräfte verließen. Aber dies war das Schicksal der Leute seines Volkes. Sie war eine Fremde in diesem Land, ohne jedes Recht auf Einmischung.
    Sie richtete sich auf und versuchte, sich innerlich auf den bevorstehenden Abschied von Mexiko einzustellen, der näher schien als jemals zuvor. Die strahlende Kraft der Farben würde sie vermissen, die satte, feuchte Luft des Dschungels und den brennenden Geschmack des Essens auf ihrer Zunge, doch all dies konnte mit der Zeit zu einer reizvollen Erinnerung werden, die sie für den Rest ihrer Tage im nasskalten Berlin wärmen würde. Woher kam diese leise, aber beharrliche Klage in ihrem Inneren, die Ahnung eines bevorstehenden Schmerzes? Sie wusste es, obwohl ihr dieses Wissen nicht gefiel. Ihre zwei bisherigen Liebhaber hatte sie schnell vergessen, aber der Mann mit dem glatten kupferfarbenen Gesicht, mit dem sie in einer Dschungelruine bis spät in die Nacht geplaudert hatte, ohne dass sie einander berührten, der würde eine Leere in ihrem Leben hinterlassen. Zumal sie unter diesen Umständen nicht einmal die Gelegenheit hätte, sich von ihm zu verabschieden.
    Sie strich energisch ihren Rock glatt. Es war nun einmal nicht zu ändern, und sie hatte schon früher gelernt, sich auf die Zukunft zu konzentrieren, wenn die Gegenwart unerträglich wurde. Am besten begann sie jetzt, ihre Heimreise zu planen.
    »Ich denke, in ein paar Tagen brechen wir auf«, sagte sie zu Julio. »Versuche herauszufinden, wo Andrés steckt, und ihn zu warnen. Dann könnten wir mit dem Packen beginnen. Du kannst mich bis zum Hafen begleiten, wenn du willst. Und ich verspreche, dass ich dir mein restliches Geld zurücklasse.«
    Seine Augen leuchteten auf.
    »Gracias, Señorita. Ich höre mich ein bisschen in den umliegenden Dörfern um, wegen Andrés.«
    Er sprang auf und eilte hinaus. Alice verspürte einen Stich in ihrer Brust, als sie allein zurückblieb. Sie beschloss, ihren Kleidervorrat durchzugehen, denn Beschäftigung war das beste Heilmittel gegen Trübsal. Vielleicht wäre es vernünftig, ein paar Kleidungsstücke hier zurückzulassen. Julio konnte sicher dankbare Abnehmerinnen in den Dörfern dafür finden. Beim Sortieren stellte sie fest, dass ihre zwei Rüschenblusen gelbe Schweißflecken unter den Achseln aufwiesen, die bei der letzten Wäsche nicht herausgegangen waren. Ihre Kleidung aus der Heimat vertrug die hiesigen Temperaturen nicht, doch sie konnte nicht in indianischen Gewändern den Dampfer besteigen. Um passende Kleidung für die Heimreise zu besorgen, wäre sie darauf angewiesen, dass Dr. Scarsdale ihr Geld lieh, aber darum wollte sie nicht bitten.
    Sie begann dennoch, ihre Kleidung ordentlich zusammenzulegen, um ihre innere Unruhe zu bekämpfen. Kurze Zeit später war alles in zwei Stapel aufgeteilt, wobei der größere jene Sachen beinhaltete, die sie auf der Heimreise mitnehmen wollte. Sie hatte beschlossen, die zwei Blusen und einen Rock mit mehreren Rissen zurückzulassen. Die Indio-Frauen konnten sicher alles einfärben oder flicken, sodass es noch gut tragbar wäre. Alice war durchaus zufrieden mit ihrer Erledigung dieser Aufgabe und wollte nun ihre weiteren Habseligkeiten durchsehen, als es an der Tür klopfte. Zunächst dachte sie an Julio, doch der verzichtete inzwischen auf solche Höflichkeiten. Kurz glomm Hoffnung in ihr auf. Andrés. Sie würde wenigstens Abschied von ihm nehmen können. Aber es wäre selbstmörderisch, wenn er sich am helllichten Tag ins Lager wagte.
    »Adelante!«, rief sie. Die Tür öffnete sich so langsam und knarrend, dass Alice ein unbehagliches Gefühl erfasste, doch als sie sich umdrehte, stand da nur der graue, zerknitterte Archäologe und räusperte sich.
    »Miss Wegener, ich glaube, ich habe vorhin unnötig heftig reagiert.«
    Sie richtete sich auf.
    »Das könnte man so sagen.«
    »Nun.« Dr. Scarsdale rieb sich nervös die Hände. »Ich habe eine Weile nachgedacht. Vielleicht haben Sie recht. Ein gebildeter Indianer wäre sehr hilfreich bei unserer Forschungsarbeit. Es ist nämlich so …«
    Er hockte sich zu Alice auf die Petate.
    »Zunächst waren wir Europäer schuld daran, dass fast alles Wissen über die alten Königreiche der Maya in Vergessenheit geriet«, erzählte er mit dem Leuchten in den Augen, das

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