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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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verlegenen Gesichtsausdruck des Archäologen sah.
    »Ich gebe zu, das wäre nicht möglich gewesen. Nur ist es heute schwer, sich vorzustellen … dass … dass …«
    »Dass es Indianer waren, die dies bauten«, ergänzte Andrés an seiner Stelle. »Mein Volk scheint inzwischen nur noch in der Lage, Mais anzubauen, Lehmhütten zu errichten oder für reiche Señores zu schuften. Ist es nicht erstaunlich, was ein paar hundert Jahre der Unterdrückung ausmachen? Und nun kommen ein paar kluge Forscher, um aufzuzeigen, wie groß wir einmal waren. Doch an unserer Lage ändert das nichts, denn wir sind in den Augen dieser Forscher nicht weiter als primitives Bauernpack!«
    Der Archäologe runzelte die Stirn, und Alice wurde nervös. Bisher waren die abendlichen Gespräche angenehm verlaufen, und sie fragte sich, ob Andrés der Rotwein, von dem sie gerade eine weitere Flasche geöffnet hatten, nicht guttat. Wenn er Dr. Scarsdale verärgerte, würde das seine Lage verschlimmern, und zudem konnte er diesen bebrillten Bücherwurm kaum für das Schicksal des indianischen Volkes verantwortlich machen.
    »Ich bin ziemlich müde«, mischte sie sich ins Gespräch. »Ich denke, ich werde in meine Hütte gehen.«
    Sie musterte Andrés aus dem Augenwinkel, und er ging sogleich auf das unausgesprochene Angebot ein, indem er ebenfalls aufstand.
    »Ich begleite Miss Wegener. Das ist sicherer, bei all den Kerlen hier im Lager.«
    Dr. Scarsdale widersprach nicht, sondern nippte nur an seinem Wein. Alice trat aus dem Zelt hinaus und spürte Andrés in ihrem Rücken. Draußen war der Regenwald bereits zu einer schwarzen Wand hinter den Ruinen geworden, der den Himmel zur Hälfte aussperrte. Andrés führte sie schweigend zu ihrer Hütte neben dem ehemaligen Palast. Alle anderen im Lager ruhten bereits. Die Aufseher hatten sich mit Aguardiente, wie Schnaps hierzulande genannt wurde, in den Schlaf getrunken. Den einfachen Arbeitern wurde er vorenthalten, falls sie nicht über genug Ersparnisse verfügten, doch sie schliefen nach getaner Arbeit meist vor Erschöpfung ein. Nun war es so still, dass Alice meinte, die Ruinen flüstern zu hören, in ebenjener Sprache, die es an deren Wänden zu entschlüsseln galt. Die Luft roch feucht wie immer und duftete nach satter Fruchtbarkeit. Alice merkte, dass sie langsamer ging. Die Augenblicke, in denen sie allein mit Andrés sein konnte, waren selten geworden.
    »Dr. Scarsdale kann ein recht empfindlicher Mensch sein«, begann sie. »Doch in Anbetracht der Umstände sollten wir Rücksicht darauf nehmen.«
    »Schon gut, ich verstehe«, erwiderte er. »Die Geringschätzung, die man uns Indios entgegenbringt, ist mein wunder Punkt, fürchte ich. Ich dachte, ich hätte den Zorn inzwischen unter Kontrolle, aber manchmal bricht er aus wie ein wildes Tier aus seinem Käfig. So bringe ich mich immer wieder in Schwierigkeiten.«
    »Nun, so schlimm war es nicht. Dr. Scarsdale wird darüber schlafen, und morgen hat er sicher wieder andere Dinge im Kopf.« Alice versuchte, ihn zu beruhigen, denn ihr wurde immer klarer, wie gut sie sein Verhalten verstand. Sie wusste, wie sehr es schmerzte, wenn einem sozusagen von Geburt an viele geistige Fähigkeiten abgesprochen wurden, einfach weil man sie nach allgemeiner Überzeugung nicht haben durfte, aber dennoch spürte, dass man sie besaß.
    »Ihr Bruder erzählte mir, dass die ersten Forscher, die auf die Ruinen hier stießen, sie für das Werk von Phöniziern hielten oder irgendeinem anderen alten, großen Kulturvolk, das bereits lange vor den Spaniern hier angekommen war«, sagte Andrés, als sie bereits vor ihrer Hütte standen. Alice blickte zu dem Palast hoch. Er wies entfernte Ähnlichkeit mit einer europäischen Festungsanlage auf, doch der stämmige, eckige, in Stufen angeordnete Baustil war mit nichts vergleichbar, das sie in dem ihr vertrauten Teil der Welt je gesehen hatte.
    »Dieser Irrtum wurde inzwischen aber aufgeklärt«, sagte sie. »Niemand zweifelt mehr daran, dass diese Bauwerke von Ihren Vorfahren errichtet wurden. Und je bekannter diese Ruinenanlage wird, desto mehr Achtung wird man Ihrem Volk dafür entgegenbringen. So gesehen, leistet auch Dr. Scarsdale eine wichtige Arbeit.«
    Andrés erwiderte nichts, sah sie nur nachdenklich an. Es waren nur noch drei Schritte zu Alice’ Hütte, wo Mariana und Julio wahrscheinlich bereits schliefen. Sie wusste, dass es keinen Grund für sie gab, nicht ebenfalls hineinzugehen, doch es gefiel ihr zu sehr, hier

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