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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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anderen Ufer«, stieß sie mühsam hervor. Er erwiderte nichts, schmiegte sich an sie und schloss sie in die Arme. Lange verwehrte der bohrende Kopfschmerz ihr den Schlaf, doch als bereits völlige Finsternis herrschte, fiel auch sie in ein tiefes, erlösendes Dunkel.
    Am nächsten Morgen war ihr so elend, dass sie nichts zu sich nehmen wollte als ein paar Schlucke Wasser. Andrés brachte Früchte, doch als sie auf sein Drängen hineinbiss, setzten die Magenkrämpfe erneut ein. Ihr Körper brannte innerlich, ihr Kopf drohte zu bersten, und sie fror, als hätte der Dschungel sich plötzlich in eine winterliche Alpenlandschaft verwandelt. Die Umrisse der Bäume am gegenüberliegenden Ufer begannen vor ihren Augen zu verschwimmen, während Patricks Gesicht mit völliger Klarheit vor ihnen auftauchte. Über das Wasser hinweg schwebte er auf sie zu. Sie rief seinen Namen, wollte die Hand heben, um ihn zu berühren, doch ihr fehlte die Kraft.
    »Du lebst«, rief sie. »Gott sei Dank, du lebst!«
    Er lächelte traurig, bewegte die Lippen, als wolle er ihr etwas mitteilen, doch das Rauschen des Wassers schwoll zu einem Brüllen an, und der Fluss verschlang ihn. Alice schrie verzweifelt auf. Sie sehnte sich nach Patrick, nach ihrem Zuhause, jenem Teil ihres Lebens, den sie freiwillig hinter sich gelassen hatte. Dann saß sie auf einmal wieder mit Tante Grete und ihrem Vater am Mittagstisch. Es gab Rinderbraten, den sie nie besonders gemocht hatte, und die Stimmung war gedrückt. Woran es lag, wusste sie nicht, aber es war oft so gewesen, daher fand sie es nicht ungewöhnlich. Sie sah das breite, von einem Backenbart bewachsene Gesicht ihres Vaters an und stellte fest, dass sein Anblick nichts weiter als Zorn und Schmerz in ihr auslöste. Diese Erkenntnis stimmte sie unendlich traurig, obwohl sie das nach väterlicher Liebe hungernde kleine Mädchen schon längst in sich abgetötet hatte. Wieder wollte sie ihre Hand ausstrecken, und diesmal gelang es ihr sogar, doch je mehr sie sich anstrengte, den großen, strengen Mann zu berühren, desto weiter entfernte er sich.
    »Warum magst du mich nicht?«, rief sie. »Was habe ich getan, dass du mich derart verabscheust?«
    Sie erhielt keine Antwort. Nebel zog vor ihren Augen auf, verfärbte sich zu einem finsteren Grau. Wie konnte ein Tag so schnell vergehen? Das Feuer in ihrem Körper wurde heißer und heftiger. Sie versuchte, zum Wasser zu robben, um nicht zu verbrennen. Obwohl sie es nicht erreichte, floss plötzlich Nass über ihren Körper, das ein paar der gefräßigen Flammen löschte.
    »Alice, bitte sprich mit mir!«, rief ein Mann auf Englisch. Sie wurde geschüttelt, was wehtat, aber den Nebel vor ihren Augen vertrieb. Sie sah Andrés. Sein Gesicht schien eingefallen, und aus seinen Augen sprach die nackte Angst. Etwas stimmte nicht.
    »Du brauchst einen Arzt«, sagte er. »Wir brechen am besten gleich auf. Ich werde dich tragen.«
    Für einen Moment konnte sie ihre Lage mit völliger Klarheit erfassen. Sie war krank, sehr krank. Und sie saß mitten im Dschungel.
    »Bring mich … bring mich zu Dr. Scarsdale«, flüsterte sie. »Er hat Medikamente.«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Das ist zu weit. Wir würden es nicht schaffen. Ich werde versuchen, die nächste Montería zu finden. Dort gibt es Ärzte. Für den Besitzer und seine Capataces. Erzähle deine Geschichte, dass du eine Verwandte von Hans Bohremann bist, die verschleppt wurde. Dann wirst du wichtig genug für sie sein, um gerettet zu werden.«
    Er schob seine Hände unter ihren Körper. Sie schrie auf, als er sie hochhob, doch sie lag weich in seinen Armen. Der Rhythmus seines Herzschlags beruhigte sie.
    »Aus der Montería lassen sie dich nicht mehr weg, wenn sie dich einmal haben«, widersprach sie schwach. Er erwiderte nichts und ging langsam am Flussufer entlang.
    »Es tut mir leid«, flüsterte Alice. »Ich habe alles verdorben.«
    »Das ist nicht deine Schuld«, erwiderte er knapp. Ihre Lider wurden schwer. Wieder versank sie in einer erlösenden Finsternis.
    Gesichter zogen vorbei. Noch mal Patrick, ihr Vater und Tante Grete, deren missmutige Miene Alice daran erinnerte, wie dumm und ungeschickt sie sich oft anstellte. Dann sah sie ihre Bilder, die sie bei der ersten Ausstellung verkauft hatte. Harry lächelte sie verschmitzt an, seine Züge verschmolzen mit denen von Juan Ramirez. Sie glaubte, an all diesen Menschen vorbeizuschweben, denn ihr Körper hatte kein Gewicht mehr. Ihr Atem ging leicht und

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