Der Duft des Regenwalds
den Caxlán an. Er erwiderte das Lächeln nach kurzem Zögern. Dabei nahm sein Gesicht tatsächlich die beschriebene rosige Farbe an, und sie dachte, dass ihr Anblick ihm guttun musste, denn so wirkte er gesünder.
Er scheuchte den Ladino fort. Zorn lag in dessen Augen, und Ix Chel bekam Angst, denn er schien kräftig genug, um ihren Retter einfach niederzuschlagen, aber das wagte er nicht. Sie begriff, dass ein Mann vor ihr stand, der über Autorität verfügte, auch wenn er nicht mit ihr umzugehen verstand. Er brauchte Hilfe, dann würde er es lernen.
Sie folgte ihm, als er sie zum Lager winkte, obwohl sie leicht hätte in den Dschungel fliehen können. Kurz vor dem Betreten seines Zeltes überlegte sie, was sie tun würde, wenn er sich ihr auf ähnliche Weise näherte wie der Ladino. Sie hätte auch ihm das Gesicht zerkratzt, egal, ob es rosig oder weiß war, aber er gab ihr keinen Anlass dazu. Er wies sie zu der Petate, um selbst auf dem nackten Boden zu schlafen.
In dieser Nacht wanderte Ix Chels Seele, und die Träume zeigten ihr, dass die Götter den netten, schwachen Caxlán zu ihren alten Häusern geschickt hatten, damit sie ihm dort begegnete. Ihre Aufgabe war es, ihm zu helfen, damit seine Güte nicht weiter von seiner Ungeschicklichkeit gefährdet wurde. Deshalb kam sie am nächsten Abend unaufgefordert wieder in sein Zelt, obwohl Maruch sie zur Heimkehr drängte.
Nun verbarg Ix Chel noch mal das Gesicht in den Händen. Andrés übersetzte, dass sie in ihrem Leben niemals zuvor derart schamlos gewesen war, obwohl ihre Mutter von dem als wild bezeichneten Volk im Dschungel abstammte. Alice empfand keinen Ärger mehr über die Unterbrechung, denn allgemein begann sie das Mädchen zu verstehen.
»Sag ihr, dass ich ihr Verhalten sehr mutig finde«, wies sie Andrés an. »Und dass sie einfach weitererzählen soll.«
Ix Chel ließ die Hände sinken und lächelte wieder auf ihre kindliche Art. Alice staunte, wie naiv und schlicht dieses in Wahrheit kluge Mädchen wirkte.
Patrick hatte der jungen Indianerin zunächst ein paar deutsche Worte beigebracht. »Guten Morgen«, sagte Ix Chel stolz, auch wenn sie kaum zu verstehen war. »Mir geht es gut. Und dir?«
Dann kicherte sie wieder.
Mit der Zeit, so erzählte sie zögerlich, also erst nach ungefähr zehn Tagen, da wurde der Caxlán Patrick ihr Malalil, ihr Ehemann. Er betonte immer wieder, dass er sie als seine Frau ansah, nicht als Geliebte. So stellte er sie auch dem doctor vor, der nur die Stirn runzelte. Ix Chel war glücklich. Es war die glücklichste Zeit ihres Lebens gewesen, betonte sie. Dabei füllten ihre Augen sich mit Tränen.
Sie wies Patrick darauf hin, dass er heimlich bestohlen wurde, und bestand darauf, dem nachzugehen. Sie lauerte hinter seinem Zelt, während er mit el doctor zu Abend aß, spähte durch ein kleines Loch und ertappte einen der jungen Arbeiter, wie er in Patricks Tasche herumwühlte, bis er einen Beutel mit Münzen fand. Sie hielt ihn auf, stimmte ein riesiges Geschrei an, und als Patrick herbeigeeilt kam, bestand sie darauf, dass der Junge wenigstens durch einen Lohnabzug bestraft werden musste, ganz gleich, wie arm er auch war. Sonst würden die Diebstähle niemals aufhören.
Nach einigen Wochen nahmen die Arbeiter Patrick ernster. Ix Chel lernte Andrés kennen, den einzigen Indio außer ihr, der ihrem Caxlán nahestand. Er hatte die Aufgabe, die Arbeiter zu beaufsichtigen, doch die anderen Capataces störten sich daran, zeigten ihm die kalte Schulter und beschwerten sich ständig bei el doctor, weil er ihrer Meinung nach nicht hart genug durchgriff. Deshalb gab es auch häufig Streit zwischen Patrick und Dr. Scarsdale. Alice fragte sich, weshalb das später nicht mehr der Fall war. Vielleicht weil diesmal nicht Patrick, sondern der Archäologe selbst Andrés zum Aufseher ernannt hatte und die Capataces ihn als Autorität anerkannten.
Ix Chel wusste mit Andrés zunächst nicht viel anzufangen. Er war Indio, beherrschte aber fließend die Sprache der Ladinos, konnte sogar lesen und schreiben. Dadurch war er ihr noch fremder als Patrick, denn sie wusste nicht, wo sie ihn einordnen sollte. Manchmal, wenn niemand, nicht einmal Patrick, zuhörte, erzählte er den Arbeitern, dass sie Rechte hätten, mehr Lohn verlangen sollten und eine kürzere Arbeitszeit. Dabei waren die Arbeitsbedingungen an den Häusern der Götter weitaus besser als auf den Plantagen oder in den Monterías. Ix Chel gab vor, Andrés’ Tzotzil nicht zu
Weitere Kostenlose Bücher