Der Duft des Regenwalds
Abendessen saßen?«, fragte Alice anerkennend. Er lächelte sie spöttisch an.
»Ix Chels Mutter hatte es bereits so geplant, bevor wir ankamen. Ich glaube, die Alte kann hellsehen.«
»Sie wusste sogar, dass wir zu Hans Bohremann gehen wollen?« Alice fand die Fähigkeiten der alten Frau sehr erstaunlich.
»Nein, aber dass wir einen Führer brauchen würden, das ahnte sie. Sie schlug dem Vater des Jungen den Handel vor, noch bevor wir hier eintrafen. Jedenfalls rechnete sie mit unserer baldigen Rückkehr.«
»Also das«, erwiderte Alice grinsend. »würde ich einfach indianisches Organisationstalent nennen. Dr. Scarsdale würde staunen.«
Ihr war fast zuversichtlich zumute, als sie sich wieder in der Hütte niederlegten. Wenigstens würde sie bald an ihr Ziel gelangen, auch wenn sie keine Ahnung hatte, was dann weiter geschehen sollte.
Der Enganchador traf früh am Morgen ein. Er war ein großer, ungepflegter Mann mit indianischen Gesichtszügen. Allein seine Größe deutete auf europäische Vorfahren hin. Zudem sprach er Spanisch und schien lesen zu können, behauptete er zumindest. Das Gespräch zwischen Andrés, diesem Mann und dem Indio, der auf einer Zuckerrohrplantage arbeiten sollte, fiel kurz aus. Andrés überflog den Vertrag, sprach ein paar Worte auf Tzotzil, das die Chol verstehen konnten. Der Enganchador reiste unverrichteter Dinge ab, was nicht dazu beitrug, seine ohnehin schlechte Laune zu verbessern.
»Es war wie erwartet«, sagte Andrés auf Englisch, als er wieder zu Alice in die Hütte trat. Die Frauen der Familie stellten gerade den Teig für Tortillas her. Dazu war, wie Alice inzwischen gelernt hatte, eine Kalklösung notwendig, in der die Maiskörner ungefähr eine Dreiviertelstunde lang gekocht wurden, bis ihre Schalen sich abgelöst hatten. Anschließend wurden sie auf der Metate zu einer Masse zerrieben, die zu kleinen Klumpen geformt, später platt geklatscht und schließlich auf dem Comal gebraten wurde. Die Frauen im Dschungel hatten es ebenso gemacht, auch wenn die Maisfladen bei ihnen etwas dicker und unförmiger gewesen waren und sie andere Begriffe für die Kochutensilien verwendet hatten.
»Was war wie erwartet?«, fragte Alice, die den Frauen wieder einmal nur zugesehen hatte. Ihr mit Gesten vorgetragenes Angebot zur Hilfe war von Maruch freundlich lächelnd abgewiesen worden. Sie wusste nicht, ob Manuels Frau ihren seltsamen Gast schonen wollte oder ihr nichts zutraute, beschloss aber, sich darüber nicht den Kopf zu zerbrechen.
»Es sind immer dieselben Verträge. Sogar mein Vater, der sich weise und stark gab, fiel darauf herein, und am Ende wurde unser ganzes Dorf umgesiedelt«, erzählte Andrés und ließ sich an ihrer Seite nieder. »Man bekommt Geld als Vorschuss, den man dann während der Ernte abarbeiten kann. Das klingt alles sehr vielversprechend, aber gleichzeitig werden einem noch viele andere Dinge in Rechnung gestellt. Das Essen während des Weges zur Plantage, die Unterkunft, dazu kommen die hohen Preise in den Tiendas, wo der Plantagenbesitzer Waren anbietet. Woanders kann man sie aber nicht kaufen. Nach der Erntezeit sitzt man fest, muss nächstes Jahr wieder dort arbeiten, um die Schulden zu bezahlen, wodurch neue Schulden entstehen. Meine Leute kamen niemals mehr weg, obwohl sie das heiße Klima nicht mochten und von der kühlen Luft in den Bergen träumten.«
Alice erinnerte sich an den störrischen Kaziken, der seinen Sohn verflucht hatte.
»Du bist entkommen«, erinnerte sie ihn. »Und du musst nicht mehr zurück.«
Die Andeutung eines Lächelns zeigte sich auf seinen Lippen, und er zuckte mit den Schultern.
»Wir werden sehen. Zunächst einmal bringe ich dich zu Hans Bohremann.«
Der Junge, der ihnen den Weg weisen sollte, war etwa in Julios Alter, doch er wirkte weniger aufgeweckt. Sein Blick war stumpf, er musterte Alice zunächst mit unverhohlener, fast dreister Neugier, um sie dann nicht mehr zu beachten. Sie vermutete, dass er über den Hut enttäuscht war, unter dem sie ihre blonden Haare verbarg.
»Yo soy Ricardo«, teilte er ihr mit, wobei er auf ihre Huarachas starrte. Danach sprach er kaum ein Wort, führte lediglich das Maultier, auf dem sie saß. Er schritt flott voran, lotste sie abseits der ausgetretenen Pfade an den Bäumen vorbei. Den Weg schien er gut zu kennen. Alice genoss seine Schweigsamkeit, da sie so ihren eigenen Gedanken nachhängen konnte. Dann fiel ihr ein merkwürdiger Umstand auf.
»Andrés«, flüsterte sie auf
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