Der Duft des Regenwalds
niemals glauben.«
»Vielleicht würde er das nicht. Aber verunsichert wäre er auf jeden Fall. Er könnte Nachforschungen anstellen. Für Rosario wäre es jedenfalls sehr unangenehm. Wenn sie meine Wünsche erfüllt, so ist es einfacher für sie.«
Eine Weile drehte er das Glas in seiner Hand, dann beugte er sich vor, um einen weitaus härteren Ton anzuschlagen, als sie jemals von ihm gehört hatte.
»Ich könnte dafür sorgen, dass dein studierter Indio morgen schon am Galgen baumelt. Ich bin der Schwager eines wichtigen, mächtigen Zuckerbarons, und das wissen alle hier. Also nimm Vernunft an. Du wirst es nicht bereuen.«
Wieder streckte er ihr fordernd seine Arme entgegen, und Alice erfasste den Ernst der Lage. Mit zitternden Knien trat sie einen Schritt auf ihn zu, denn sie durfte ihn nicht weiter verärgern. Seine Hände legten sich um ihre Taille, während er sie auf seinen Schoß zog. Ihr Körper erstarrte vor Widerwillen, aber sie zwang sich, eine willenlose Puppe zu werden, die fremde Wünsche erfüllte. Wie lange hatte sie um ihre Unabhängigkeit gekämpft, damit sie ebendies für keinen Mann der Welt sein musste! Ihre Liebe zu Andrés machte sie abhängig und wehrlos, doch sie wusste tief in ihrem Inneren, dass diese Liebe ein solches Opfer wert war.
Juan roch nach Rasierwasser, doch ihr kam dieser Geruch nun ekelerregend vor. Mit größter Anstrengung zwang sie sich, ihren Kopf nicht abzuwenden. Konnte er nicht auf Küsse verzichten und einfach schnell erledigen, wonach es ihm verlangte, so wie Männer es angeblich mit Huren taten? Seine Hände glitten mit qualvoller Langsamkeit über ihren Körper. Dann wurde sie plötzlich zu Boden gestoßen wie eine unerwünschte, aufdringliche Hure. Schnaubend sprang Juan Ramirez vor ihr auf die Füße.
»Ich widere dich an, nicht wahr?«
Alice blickte zornig zu ihm hoch, obwohl ihr Tränen der Demütigung über die Wangen liefen.
»So, wie du sich gerade benommen hast, tust du es tatsächlich.«
Er ergriff die Comiteco-Flasche und schleuderte sie gegen die Wand, wo sie in zahllose Scherben zersprang.
»Du findest mich abstoßend, würdest dich aber für deinen verfluchten Indio opfern. So sehr hat mich noch keine Frau beleidigt!«
Alice wollte soeben erwidern, dass diese missliche Lage seine eigene Schuld war, als plötzlich die Tür aufflog. Mariana kam hereingestürmt und leckte ihr freudig das Gesicht ab. Julio folgte. Er blieb im Türrahmen stehen und ließ seinen Blick durchs Zimmer wandern.
»Ist etwas nicht in Ordnung, Señorita?«
»Aber nein, ich bin nur gestolpert«, log Alice und zwang sich auf die Beine. Ein paar Stellen ihres Körpers schmerzten von dem Aufprall, aber sie war nicht ernsthaft verletzt.
»Sie hat zu viel Comiteco getrunken. Das macht sie immer ein bisschen linkisch«, sagte Juan Ramirez. Alice widersprach nicht, denn sie wusste, wie wichtig es ihm war, sich keine Blöße zu geben.
»Buenas noches«, sagte er zum Abschied, neigte kurz den Kopf und ging hinaus. Als die Tür hinter ihm zugefallen war, warf Julio Alice einen besorgten Blick zu, und sie zwang sich, ihn anzulächeln. Was hier vorgefallen war, würde ein Junge seines Alters kaum verstehen.
»Wir gehen jetzt besser schlafen. Morgen reisen wir weiter zu Hans Bohremann«, informierte sie ihn und eilte ins Badezimmer, um Juans Berührungen von ihrem Körper zu waschen. Sie wusste, dass sein verletzter Stolz eine neue, gefährliche Seite in ihm geweckt hatte, konnte ihn aber nicht aufhalten. So spät am Abend würde er keine sofortige Hinrichtung von Andrés durchsetzen können.
Sie würde am nächsten Tag versuchen müssen, Juan Ramirez zu umgarnen. Eine andere Wahl hatte sie nicht.
Als es Alice im Morgengrauen endlich gelungen war einzuschlafen, wurde sie von einem Klopfen an der Tür geweckt.
»Sie sollen nach unten kommen, Señorita!«, verkündete ein quicklebendiger Julio mit unangenehm lauter Stimme. Alice rieb sich ihre vor Erschöpfung verquollenen Augen. Ihr Kopf tat weh, als hätte sie tatsächlich zu viel Comiteco getrunken, und sobald sie sich aus dem Bett gequält hatte, schmerzte wieder einmal jeder ihrer Knochen. Sie wankte ins Badezimmer und fuhr vor dem Spiegel entsetzt zurück. Wie sie mit diesem rot gefleckten Gesicht und den verquollenen Augen einen Mann betören sollte, war ihr ein Rätsel, zumal sie kaum Übung in verführerischem Auftreten hatte. Vielleicht war es an der Zeit, sich Tante Gretes Ratschläge in Erinnerung zu rufen.
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