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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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Chiapas erreichen, um uns dann nach Tuxtla Gutiérrez durchzuschlagen. Das dürfte der anstrengendste Teil der Reise werden, denn die Straßen in den Bergen der Sierra Madre sind schlecht.«
    Alice nahm erleichtert zur Kenntnis, dass es bis dahin noch mindestens zehn Tage dauern würde, und ließ ihren Blick weiter über die Felder schweifen, ein grüner Ozean, der sich endlos dahinzog, um schließlich mit dem Horizont zu verschmelzen. Vereinzelt tauchten Strohdächer und weiß getünchte Kirchtürme auf, ein beruhigendes Zeichen, dass sie nicht durch völlig unbewohnte Wildnis fuhren. Bald schon sah sie auch Menschen, die diese Halme mit langen Messern abhackten und bündelten, um sie anschließend auf Kopf oder Schultern wegzutragen. Fast alle dieser Arbeiter waren an ihrer Kleidung als Indios zu erkennen, und sie entdeckte zahlreiche Kinder darunter, die kleiner waren als das Rohr, das sie schnitten.
    »Wem gehören diese Plantagen?«, fragte sie Dr. Scarsdale.
    »Der Oberschicht des Landes«, antwortete er. Alice erkannte, dass ihre Frage eigentlich überflüssig gewesen war.
    »Ich dachte, es gibt vielleicht auch kleine Felder, die von ihren Besitzern selbst bearbeitet werden«, erklärte sie, um nicht als dümmlich dazustehen.
    »Natürlich gibt es die«, versicherte Dr. Scarsdale. »Doch es werden immer weniger, da die Besitzer der großen Plantagen den Markt zunehmend dominieren. Es gibt in diesem Land natürlich auch eine Mittelschicht. Sie setzt sich aus Händlern, Handwerkern und kleinen Angestellten zusammen.«
    »Außerdem kluge Leute wie Ärzte und Lehrer«, fügte Juan Ramirez hinzu, der es nicht einem Ausländer überlassen wollte, die Verhältnisse in seiner Heimat zu erläutern.
    »Sind darunter auch einige der … der Ureinwohner zu finden?«, fragte Alice weiter, denn das Thema begann allmählich, ihr Interesse zu wecken.
    »Selten. Sehr selten«, antwortete Dr. Scarsdale. »Sie haben kaum Gelegenheit, auch nur eine rudimentäre Schulbildung zu erhalten.«
    Juan Ramirez fuhr verärgert auf.
    »Pero Andrés …«, begann er, bis ein strenger Blick des Archäologen ihn zum Schweigen brachte. Alice staunte, wie viel Zorn darin gelegen hatte.
    »Andrés«, wiederholte sie nachdenklich den Namen, bis ihr klar wurde, wann sie ihn bereits gehört hatte. »Hieß dieser Indio, der meinen Bruder getötet haben soll, nicht so?«
    Juan Ramirez nickte, bevor Dr. Scarsdale ihr eine Antwort geben konnte. Kurz tauschten beide einen Blick, dann räusperte sich der Archäologe.
    »In der Tat. Sie haben ein gutes Gedächtnis.«
    Er lächelte. Es passte nicht zu ihm, dachte Alice. Seine Augen blieben davon unberührt, und sie fühlte sich an eine grinsende Karnevalsmaske erinnert.
    »Andrés Uk’um war ein ungewöhnlich begabter Knabe«, erklärte der Archäologe. »Er hatte Glück. Die wohltätige Ehefrau eines deutschen Kaffeebarons hatte eine Schule für Indio-Kinder eröffnet und bemerkte sein rasches Begriffsvermögen. Der Ehemann dieser Dame finanzierte dem Jungen eine höhere Schulbildung und auch ein Studium. Er wurde Ingenieur.«
    Alice hob die Hand, um Schweißtropfen von ihrer Stirn abzuwischen.
    »Ich dachte, er sei ein blutrünstiger Wilder, der Menschen das Herz aus der Brust reißt«, erwiderte sie spitz. Ihr Magen rumorte bei der Vorstellung dieser Tat, aber sie schaffte es, sich zusammenzureißen.
    »Niemand erwartete das von ihm«, entgegnete Dr. Scarsdale. »Doch als er nach vielen Jahren in seine Heimat zurückkehrte, da begann er, die anderen Indios gegen die Besitzer der Kaffeeplantagen aufzuhetzen. Er war mit demokratischen Ideen in Berührung gekommen, was ihn zum Unruhestifter machte. Es gibt Gründe, warum man Indios hierzulande keine Schulen besuchen lässt.«
    Der Archäologe kicherte trocken. Juan Ramirez hatte verärgert den Kopf abgewandt und musterte die vorbeiziehenden Zuckerrohrfelder. Alice staunte, wie viel Aufmerksamkeit er den Pflanzen widmete, die ihm nicht so fremd sein konnte wie ihr. Sie lehnte sich zurück.
    »Warum sollte ein studierter Ingenieur, der an die Ideale der Demokratie glaubt, meinen Bruder auf eine derart … brutale Weise töten?«
    »Er glaubte vielleicht nicht an dieses alte Ritual, aber er wusste, dass es seinen Leuten Kraft schenken würde«, erklärte Dr. Scarsdale. »Vielleicht war dies der einzige Weg, sie aus jener Lethargie zu reißen, in die sie nach der spanischen Eroberung gefallen waren.«
    »Die meisten Leute dieses Landes haben indianisches

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