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Der Duft des Regenwalds

Der Duft des Regenwalds

Titel: Der Duft des Regenwalds Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rosa Zapato
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zu führen. Das Gehackte stammte erwartungsgemäß von Rindern, war aber so scharf gewürzt, dass der ursprüngliche Geschmack des Fleisches nicht mehr zu schmecken war. Alice aß schicksalsergeben und musterte dabei ihre Umgebung. Wenigstens schien der schlichte Raum einigermaßen sauber. Ein paar farbenfrohe, kindlich anmutende Stickereien hingen als einziger Schmuck an den Wänden. Bei genauerer Betrachtung bekam ihre Farbgewalt eine gewisse Sogwirkung, sodass Alice den Blick nicht abwenden konnte.
    »Ich hoffe, es schmeckt Ihnen einigermaßen.« Sie wurde von Juan Ramirez abgelenkt und fragte sich, ob er sie auf subtile Art darauf hinweisen wollte, dass ihre andauernde Schweigsamkeit unhöflich war.
    »Aber ja, nur etwas scharf gewürzt. Das ist man in Europa nicht gewöhnt«, erwiderte sie und bemühte sich, das Gespräch fortzusetzen. »Ist dies das Haus eines der Plantagenbesitzer?« Juan Ramirez lachte auf.
    »Aber nein, das ist ein gewöhnlicher Rancho. Diesen Leuten gehören ein paar Leguas Land für ihr Vieh und zwei oder drei Felder. Die Besitzer der Plantagen wohnen auf Haziendas und sind nicht darauf erpicht, gewöhnliche Reisende zu bewirten. Warten Sie, bis wir in Chiapas sind. Mein Schwager und meine Schwester, die wohnen auf einer richtigen Hazienda.«
    Nach dem Essen wurde noch eine Runde Tequila ausgegeben, dann holte einer der indianisch aussehenden Arbeiter eine Gitarre und klimperte darauf eine jener Melodien, die bereits in Veracruz in etlichen Lokalen zu hören gewesen waren. Ihre zwei Kutscher, die, wie Alice erfahren hatte, beide Ernesto hießen, begannen gemeinsam ein Lied zu singen, das dem Gitarristen bekannt zu sein schien, denn er konnte sie ohne Mühen begleiten. Alice’ spärliche Kenntnisse des Spanischen machten ihr klar, dass es von einer schwarzen Taube handelte. Der Hausherr und auch etliche seiner Arbeiter stimmten in den Gesang ein. Alice nahm mit gewisser Erleichterung das gequälte Gesicht von Dr. Scarsdale wahr. Wenigstens war sie nicht die einzige Nörglerin.
    Als das Lied endlich beendet war, stimmte der Gitarrist zu Alice’ Entsetzen eine weitere, schwermütige Melodie an. Diesmal erhob die Hausherrin ihre Stimme, die für eine Frau tief und heiser schien. Dennoch lag so viel pulsierende Kraft darin, dass niemand sich einmischte und Alice plötzlich spürte, wie ihr ein Schauer über den Rücken lief. Der Gesang war die in die Welt hinausgeschriene Klage einer gequälten Seele.
    »Worum geht es in dem Lied?«, fragte sie Juan Ramirez, der sie mit feucht glänzenden Augen ansah.
    »La Llorana, ein alter Mythos um eine Frau, die um ihre Kinder klagt. In vielen Versionen hat sie ihren Nachwuchs selbst ertränkt, nachdem der Vater dieser Kinder sie im Stich gelassen hat. Jetzt schleicht sie als Geist am Fluss herum und weint.«
    Alice staunte, dass ihr zu dieser Geschichte nicht sogleich eine spitze Bemerkung entwischte. Gewöhnlich hasste sie Legenden über klagende Mütter und sonstige tragische Frauengestalten. Sie schienen ihr wehleidig, da sie nichts weiter als hilflose Hinnahme des Schicksals ausdrückten. Doch die Stimme der Hausherrin ließ sie frösteln.
    »In dem Lied erzählt ein Mann, dass er Llorona liebt, sie aber niemals haben kann, da sie bereits ein Geist ist«, führte Juan Ramirez seine Erklärungen zu Ende.
    »Wie ungünstig«, witzelte Alice, denn das war ihr zu viel an Tragik. »Man scheint in diesem Land sehr gern in Schwermut zu schwelgen.«
    Juan Ramirez lächelte.
    »Nun, wir singen und erzählen gern von der Liebe. Euch Europäer scheint das aber manchmal anzustecken, wenn ihr hierherkommt, und ihr benehmt euch dann viel radikaler, als wir es tun würden. Ihrem Bruder erging es jedenfalls so.«
    Alice runzelte die Stirn.
    »Sie meinen, weil er ein Indio-Mädchen heiraten wollte? Was ich ihm wohl ausreden sollte?«
    Er nickte.
    »Ja, so war es. Patrick verlor ein wenig den Kopf, und Dr. Scarsdale hoffte auf Ihren Einfluss.«
    Sein stetes Lächeln verrutschte ein wenig, als die Worte ausgesprochen waren. Vermutlich hatte er begriffen, dass sie angesichts der Umstände als taktlos ausgelegt werden könnten, doch Alice nahm es ihm nicht übel, denn sie war dadurch auf eine Idee gekommen. Plötzlich hörte sie die Musik nicht mehr.
    »Wo ist Patricks Liebste jetzt eigentlich? Kann ich sie in Chiapas treffen?«, fragte sie ungeduldig. Warum war ihr das nicht schon früher eingefallen?
    Juan Ramirez zuckte mit den Schultern.
    »Vielleicht. Aber als ich

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