Der Duft des Sommers
Mutter vielleicht selbst nicht durchschaute. Womöglich wollte Frank sie auf diese Weise dazu kriegen, mit ihm wegzugehen – indem er behauptete, ich würde später nachkommen. Und plötzlich wusste ich gar nicht mehr, was ich noch glauben sollte.
Du müsstest deine Schule aufgeben, sagte meine Mutter, als würde mir das besonders schwerfallen. Und du dürftest niemandem sagen, wo du hingehst. Wir würden einfach den Wagen vollpacken und losfahren.
Und was ist mit den Straßensperren? Der Bundespolizei? Dem Foto in der Zeitung und im Fernsehen?, fragte ich.
Sie suchen nach einem Mann, der alleine unterwegs ist, sagte meine Mutter. Eine Familie wird ihnen unverdächtig vorkommen.
Da war es wieder, dieses Wort, das mich jedes Mal kalt erwischte. Ich betrachtete prüfend das Gesicht meiner Mutter, hielt nach den Anzeichen einer Lüge Ausschau. Dann schaute ich zu Frank hinüber, der noch immer mit Geschirrspülen beschäftigt war.
Bis zu diesem Moment war es mir nicht aufgefallen, aber er sah anders aus. Sein Gesicht und sein sehniger Körper waren natürlich unverändert. Aber vorher hatte er graubraune Haare gehabt, und nun waren sie schwarz. Gefärbt. Sogar die Augenbrauen. Er sah jetzt auch ein bisschen wie Johnny Cash aus, dessen Platten ich noch aus der Zeit kannte, als Evelyn und Barry uns besucht hatten. Barry hatte aus irgendeinem Grund At Folsom Prison besonders toll gefunden, weshalb wir die Platte ständig aufgelegt hatten.
Ich stellte mir vor, wie wir drei irgendwo auf einer Insel leben würden – Prince Edward Island vermutlich. Meine Mutter würde einen Blumengarten anlegen und Cello spielen. Frank würde bei anderen Leuten Häuser anstreichen und Sachen reparieren. Abends würde er für uns kochen, und danach würden wir in unserem kleinen Farmhaus Karten spielen. Es wäre okay für mich, wenn die beiden zusammen schliefen. Ich wäre dann ja schon älter und hätte selbst eine Freundin, mit der ich in den Wäldern umherstreifen oder auf einer Klippe am Meer sitzen würde, wo der Golfstrom vorbeifloss. Wenn sie dann nackt aus dem
Wasser kam, würde ich schon ihr Handtuch bereithalten und sie abtrocknen.
Ich muss dich um deine Erlaubnis bitten, sagte Frank zu mir. Die Familie besteht bisher aus euch beiden. Ich muss wissen, ob du das möchtest.
Meine Mutter nahm seine Hand, als er das sagte. Aber sie nahm auch meine, und wenigstens in diesem Augenblick hatte es den Anschein, als könne eine Frau ihren Sohn und ihren Liebsten zugleich lieben, ohne dass jemand zu kurz käme. Und alle drei könnten glücklich sein. Für mich war es nur gut, wenn meine Mutter glücklich war. Dass wir drei uns gefunden hatten – nicht nur die beiden, sondern wir alle drei –, war das erste Fetzchen Glück in unserem Leben seit ganz langer Zeit.
Ja, sagte ich. Ich möchte es auch. Kanada.
18
Man mochte kaum glauben, dass es noch heißer werden konnte, aber so war es tatsächlich. An diesem Abend war es so heiß, dass ich mich nicht mal zudeckte, sondern mich nur in meinen Boxershorts, mit einem feuchten Tuch auf dem Bauch und einem Glas Wasser in Reichweite aufs Bett legte. An sich hatte ich erwartet, dass meine Mutter und Frank ihre abendlichen Aktivitäten vielleicht mal aussetzen würden, aber die Hitze schien sie eher noch wilder zu machen.
Sonst hatten sie offenbar immer gewartet, bis sie glaubten, dass ich eingeschlafen sei, aber vielleicht lag es daran, dass sie mit mir übers Heiraten und unser künftiges Leben in Kanada gesprochen hatten und ich ihnen sozusagen meinen Segen erteilt hatte – auf jeden Fall ging es diesmal schon los, noch bevor ich das Licht ausgeknipst hatte.
Adele. Adele. Adele.
Frank.
Seine tiefe, raunende Johnny-Cash-Stimme. Ihre sanfte, atemlose. Zuerst leise, dann lauter. Dann das Bettrumsen. Ihr Vogelschrei. Sein Grollen, wie ein Hund, der von einem Knochen träumt und ihn noch einmal genüsslich abnagt, den letzten Saft heraussaugt.
Die feuchte heiße Luft war so reglos, dass sich nicht einmal die Vorhänge bewegten, und um mich abzulenken, dachte ich an Eleanor. Sie war hübsch, wenn man mal davon absah, dass sie so dünn war. Oder vielleicht nicht direkt hübsch, sondern sie hatte eher eine ganz besondere Ausstrahlung. Man konnte sich gut vorstellen, dass man einen elektrischen Schlag bekam, wenn man sie anfasste, aber keinen von der unangenehmen Sorte. Als sie mich küsste, schmeckte sie nach Wick VapoRub. Eukalyptus. Sie hatte mir die Zunge ins Ohr gesteckt.
Ein
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