Der Duft von Hibiskus
hatte. Mit einem Mal fühlte sie sich wie ein Eindringling. Der unerhörte Gedanke schoss ihr durch den Kopf, dass nicht die Schwarze sich an ziehen, sondern sie, Emma, sich eigentlich aus ziehen müsste. Im hochgeschlossenen Kleid vor dieser nackten Frau zu stehen kam ihr mit einem Mal absurd vor.
Unwillkürlich musste sie kichern.
Auch die Schwarze kicherte, ob über Emma oder aus Höflichkeit, war schwer zu sagen. Einer Eingebung folgend, griff Emma nach ihrem kleinen Messer und hielt es der jungen Frau hin. Gut, dass sie in Brisbane mehrere Messer gekauft hatte!
Die dunklen Augen der Frau weiteten sich erstaunt, doch dann nahm sie das Messer ohne zu zögern an sich. Sie strich sanft über die glänzende Klinge, hob den Blick und schenkte Emma ein breites Lächeln.
»Purlimil«, sagte sie.
Ob das »Danke« hieß?
»Gern geschehen«, sagte Emma höflich auf Englisch.
Die junge Frau lachte. »Nein, Purlimil mein Name«, erwiderte sie in gebrochenem Englisch.
Sie würden sich also verständigen können! Emma lächelte erfreut.
»Mein Name ist Emma.«
»Komm mit, Emma«, sagte Purlimil wie selbstverständlich. Sie drehte sich um und verschwand in einem Wald aus tropfenden Palmwedeln.
Emma zögerte. Wohin würde Purlimil sie führen? War das vielleicht eine Falle? Die Worte der Kapitänsgattin auf der Helene fielen ihr ein: »Menschenfresser« hatte Frau Karnshagen die Wilden genannt. Entschieden schüttelte Emma den Kopf. Nein, Leuten wie Frau Karnshagen wollte sie keinen Glauben schenken. Mrs. Dunnings beschäftigte Eingeborene in ihrem Haus, und auch Carl sprach mit Respekt von ihnen.
Das sollte ihr genügen, um ihnen vertrauensvoll zu begegnen.
Dennoch waren ihre Handflächen feucht, als sie Purlimil in das Palmendickicht folgte.
Die junge Schwarze glitt so geschmeidig durch die Vegetation, als sei sie selbst ein Teil davon. Emma kam sich in ihren klobigen Stiefeln reichlich unbeholfen vor, und immer wieder musste Purlimil stehen bleiben und auf sie warten. Doch sie zeigte keine Ungeduld, sondern lächelte nur.
Zeitverschwendung schien hier kein Thema zu sein.
Längst hatte sie die Orientierung verloren, und sie hatte keine Ahnung, wie sie je zurück zu den Hütten finden würde. Dennoch folgte sie Purlimil weiter, immer tiefer und tiefer in den Regenwald hinein, bis sie Wasser rauschen hörte.
Da endlich blieb die Schwarze stehen und sagte stolz: »Mein Clan.«
Emma wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn und sah sich um. Wie schön es hier war! Ein breiter Bach plätscherte über moosige Felsen, seine Ufer waren gesäumt von tiefgrünen Farnen, dazwischen standen niedrige Hütten. Sie schienen aus Rindenstreifen, Grasbüscheln und Ästen erbaut zu sein und wirkten nicht sehr stabil. Wie lange eine solche Behausung wohl hielt?
Emmas Überlegungen wurden von mehreren Eingeborenen unterbrochen, die nun neugierig auf sie zukamen. Sie riefen Purlimil in einer komisch klingenden Sprache etwas zu, und diese antwortete mit einem Schwall unverständlicher Wörter. Emma spürte ein mulmiges Gefühl im Bauch. Was erzählte Purlimil über sie? Doch als die Männer und Frauen sie erreicht hatten, waren ihre Mienen allesamt so offen und freundlich, dass Emmas Angst verschwand.
»Nur wenige sprechen Englisch«, erklärte Purlimil ihr. »Ich ihnen gesagt, du mir ein Geschenk gemacht, und ich dir auch etwas schenken.«
»Oh! Das musst du nicht«, sagte Emma schnell. »Es reicht mir, wenn ich euch kennen lernen darf. Das ist sehr … spannend für mich, weißt du?«
»Warum?«, fragte Purlimil.
»Warum? Nun, weil …« Emma runzelte die Stirn. »Na ja, weil wir ganz anders leben als ihr. Wir wohnen in festen Häusern, wir bauen Städte und …« Unwillkürlich fiel ihr Blick auf einen jungen Mann, der nichts als einen Gürtel trug, an dem mehrere Werkzeuge baumelten. Um Himmels willen! Eine völlig nackte Frau zu sehen war das Eine, aber das hier … Nun wurde Emma doch rot.
»Und wir tragen Kleidung«, murmelte sie mit abgewandtem Blick.
Purlimil lachte. »Wir auch«, sagte sie. »Wenn kalt ist!«
Sie bedeutete Emma, ihr zu den Hütten zu folgen. In eine von ihnen schlüpfte sie hinein, um gleich darauf mit einem weichen, grauen Fell wieder herauszukommen.
»Für dich«, sagte sie und drückte ihr feierlich das Fell in die Hände.
Emmas Finger gruben sich in die warmen, weichen Haare. Wie viel schöner war dieses Geschenk als der Speer, den sie erwartet hatte! Gerührt sagte sie: »Das ist
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