Der Duft von Orangen (German Edition)
überreifer, schimmliger Orangen. Bisher war der Geruch immer schwächer gewesen. Weicher. Nie unangenehm, trotz allem, was er ankündigte. Aber das hier war ein Frontalangriff auf meinen Geruchssinn, vor dem ich zurücktaumelte.
Ich streckte meine Hand aus, griff blind nach dem Treppengeländer, doch meine Finger glitten daran vorbei. Ich stolperte ein paar Schritte vor und schlug mir eine Hand vor Mund und Nase in dem Versuch, den Geruch davon abzuhalten, tiefer in mich einzudringen, doch er war schon auf meiner Haut.
Angeekelt riss ich meine Hand von meinem Gesicht und rieb sie hektisch an meiner Kleidung ab, doch es wurde immer nur schlimmer. Egal wohin ich mich wendete, der Geruch erhob sich um mich herum wie ein Pesthauch. Ich konnte mich nicht von ihm befreien, weil er nicht nur um mich herum war. Er war in mir. Er war auf mir.
Er war ich.
Die Welt neigte sich, und ich rutschte auf Händen und Knien mit, so als wenn ich aus einem Karussell geflogen oder von einer Schaukel gefallen und falsch gelandet wäre. So als … so als …
So als würde ich fallen.
14. KAPITEL
H ey.“
Beim Klang der leisen, tiefen Stimme öffne ich meine Augen. Ich kenne die Stimme. Ich kenne die Berührung der Hand auf meinem Arm, auch wenn ich ihn nicht sehen kann. Noch bevor ich meine Augen öffne, weiß ich, dass es Johnny ist.
„Hey.“ Ich blinzle im hellen Sonnenschein.
Die Hitze überfällt mich zusammen mit tausend verschiedenen Gerüchen, doch keiner davon nach Orangen. Ich atme in tiefen Zügen ein und bemühe mich, mir nicht anmerken zu lassen, wie durcheinander ich bin. Was würde Johnny tun, wenn ich zuckend und zitternd zu Boden sinken würde? Wenn ich mich wie eine Verrückte benähme?
In dem einen Arm hält er eine Papiertüte mit Lebensmitteln, und mit der anderen Hand schirmt er seine Augen vor der Sonne ab. „Du kommst gerade rechtzeitig für die Party.“
Er klingt ein wenig distanziert. Misstrauisch. Der Blick, mit dem er mich mustert, ist ebenfalls nicht sonderlich herzlich.
„Super!“ Ich hingegen klinge zu warm, zu aufgesetzt fröhlich.
„Kommst du mit rein?“ Er rückt die Tüte auf seiner Hüfte zurecht und schirmt seine Augen noch immer mit der Hand ab, um mich einmal von oben bis unten anzusehen. „Und vielleicht willst du das auch ausziehen?“
Kein Wunder, dass ich schwitze. Ich trage immer noch meinen Wintermantel, allerdings nicht den, den Johnny mir zurückgebracht hat. Obwohl das mein absoluter Lieblingsmantel ist, habe ich es nicht über mich gebracht, ihn anzuziehen. Es ist mir einfach zu peinlich, an den Vorfall erinnert zu werden. Neben dem Mantel trage ich auch noch einen Schal und Handschuhe.
„Stimmt.“ Mein Lachen klingt brüchig. „Ich wette, du fragst dich, wieso ich so angezogen bin.“
„Nicht wirklich.“
Wir stehen schweigend voreinander. Ich schwitze. Johnny nimmt seine Hand von den Augen. Die Sonne knallt auf unsbeide herab, aber ihn lässt sie wie einen Diamanten funkeln. Er ist zu hell und zu schön, um ihn direkt anzuschauen.
„Komm mit rein und nimm dir was zu trinken, bevor du noch einen Hitzschlag erleidest“, sagt Johnny nach einer halben Minute. „Komm, Emm.“
Ich folge ihm ins Haus, den Flur entlang und in die Küche, die zur Abwechslung still und verlassen daliegt. Es ist hier auch kühler, die leichte Brise kommt durch die offenen Fenster, nicht durch eine Klimaanlage. Ich rufe mir in Erinnerung, dass das hier die Siebziger sind, vielleicht zur Zeit der Energiekrise, als Klimaanlagen ein Luxus waren, den selbst Leute, die es sich leisten konnten, nicht immer nutzten. Wieder einmal staune ich über die Details, die mein Gehirn sich so ausdenkt.
Johnny räumt seine Einkäufe weg. Ich ziehe meine warmen Sachen aus und seufze erleichtert. Mein Hemd, schlicht weiß mit Perlmuttknöpfen, fühlt sich besser an, nachdem ich ein paar der Knöpfe aufgemacht und die Ärmel aufgerollt habe. Ich fächle mir Luft zu und hebe das schwere Haar, das mir feucht im Nacken liegt, an. Was gäbe ich jetzt für eine Spange oder ein Haargummi.
„Hier.“ Johnny wirft mir ein dickes Lederstück zu, das von einem Holzstab durchbohrt wird.
Ich schaue ihn fragend an. „Was ist das?“ „Das ist deine“, sagt er. „Für deine Haare.“
Ich habe so etwas noch nie zuvor gesehen. Ich wende es zwischen meinen Fingern, befühle das weiche Leder, in das eine Art Blume mit Weinranken geprägt ist. Wieder schaue ich Johnny an. „Das ist meins?“
„Ja.“ Johnny
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