Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
ihr. Aber was? Warum spielte sie dieses alberne Spiel mit mir? Ich stand auf und ging die paar Schritte, die uns trennten. Dann sah ich zu ihr hinunter. » Madame Maliki«, hörte ich mich mit harter Stimme sagen. » Verstehen Sie nicht, wie wichtig es für mich ist, Etienne zu finden?«
Sie stand ebenfalls auf. » Ich kann im Moment einfach nicht sagen, wo er sich befindet. Es ist unmöglich«, sagte sie.
Ich schüttelte den Kopf. » Aber, Sie sagten, Sie wüssten, wo er ist.«
Meine Stimme war lauter geworden. » Warum ist es unmöglich? Warum können Sie nicht einfach …«
» Ich sagte › vielleicht‹. Vielleicht weiß ich es. Außerdem ist heute kein guter Tag. Die Sterne stehen ungünstig. Ich kann mich jetzt nicht weiter mit Ihnen unterhalten.«
Ich starrte sie an.
» Gehen Sie.«
» Aber … nein. Ich werde nicht gehen, ehe Sie mir nicht etwas von Etienne erzählt haben. Ich bin von weit hergereist, um …«
Sie baute sich vor mir auf, und ich war unfähig, meinen Satz zu beenden. Wir waren gleich groß. Sie stand so nah vor mir, dass ich ihre Pupillen erkannte, zwei dunkle, harte Punkte. Ich nahm den Hauch eines Gewürzes in ihrem Atem wahr, vielleicht Kreuzkümmel oder Koriander. » Sie werden jetzt gehen. Das ist mein Haus, und Sie gehen, wenn ich es sage. Sie haben kein Recht, sich länger hier aufzuhalten.«
Ich spürte, wie ihr Fuß meinen berührte, und wich instinktiv einen Schritt zurück, doch sie legte mir die Hand auf den Arm. Ich hatte das Gefühl, als brannte meine Haut unter ihrer Berührung.
» Madame Maliki«, sagte ich und entzog mich ihrem Griff. Mir war klar, dass sie mich absichtlich gegen sich aufbringen, mich herausfordern oder sogar einschüchtern wollte. Ebenso war mir klar, dass ich sie nicht dazu bringen würde, mir etwas zu verraten, zumindest nicht jetzt. » Vielleicht ist morgen ja ein besserer Tag. Ich werde morgen wiederkommen. Ist der Vormittag für Sie eine gute Zeit? Oder sagen Sie mir doch, wann es Ihnen am besten passt.«
Mein Plan schien aufzugehen. Ich sah, dass sich ihre Miene ein wenig entspannte, und wusste, dass es an meinem flehenden Ton lag. Ich hatte mich unterwürfig gezeigt, gefügig, und das schien ihr zu gefallen.
» Morgen passt es mir wahrscheinlich auch nicht«, sagte sie. » Lassen Sie mich kurz überlegen.«
Noch immer standen wir einander gegenüber. Sie blickte über meinen Kopf hinweg, als müsste sie erst einen unsichtbaren Kalender konsultieren, und ich kämpfte gegen den Impuls an, zu schreien oder sie zu schlagen. Sie genoss diesen Moment offensichtlich. Sie hatte alles in der Hand. Instinktiv war mir klar, dass sie aus irgendeinem Grund Macht über mich ausüben musste, und mir blieb nichts anderes übrig, als mich ihren Wünschen zu beugen.
Schließlich sah sie mir in die Augen. » Na gut. Dann kommen Sie eben um zwei Uhr. Aber nicht früher. Verstehen Sie? Nicht vor zwei Uhr.«
Ich nickte bedächtig mit dem Kopf, dann ging ich durch das Tor hinaus auf die Gasse. Als ich am Ende angelangte, rief eine Kinderstimme: » Mademoiselle.« Ich spähte in eine dunkle Einbuchtung in der Mauer und erkannte Badou und Falida, die auf dem Boden saßen. Beide hatten ein Kätzchen im Arm. Wenn Badou mich nicht angesprochen hätte, wäre ich an ihnen vorbeigegangen, ohne sie zu bemerken.
Also blieb ich stehen, und beide sahen zu mir herauf.
» Ja?«
Aber er schien mir gar nichts sagen zu wollen, sondern hielt nur wortlos das Kätzchen hoch, um es mir zu zeigen.
Ich nickte ihm zu, drehte mich um und ging ein paar Schritte weiter. Doch aus irgendeinem Grund blickte ich nochmals zu ihm zurück. » Wie alt bist du?«
» Six ans«, sagte er.
Also schon sechs – ich hatte ihn höchstens auf fünf geschätzt, klein und zart wie er war. » Und deine Schwester?«, fragte ich und sah sie an. » Wie alt bist du, Falida?«
Sie antwortete nicht, aber Badou sagte: » Sie ist nicht meine Schwester.«
» Oh.«
» Sie ist unser Dienstmädchen.«
Unwillkürlich wanderte mein Blick zu dem von blauen Flecken übersäten Arm und dem geschwollenen Auge des Mädchens.
» Hier gibt es überall Kätzchen«, sagte Badou. » Die Mütter wohnen da drin.« Er deutete auf ein Loch in der Mauer. » Wenn sie rauskommen, spielen wir mit ihnen.« Er streichelte zärtlich über den Rücken des Kätzchens.
Er war Etiennes Neffe. Ich frage mich, ob ich irgendeine Ähnlichkeit mit seinem Onkel an ihm bemerkte. Vielleicht sein langer Hals, sein ernster Ausdruck.
Wieder
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