Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate
Frauen kamen näher, und als ich aus dem düsteren Treppenhaus auf das Dach trat, musste ich gegen das helle Morgenlicht anblinzeln. Die Stimmen erstarben, sie gehörten den beiden Ehefrauen und der Dienerin, die im Schneidersitz um einen Haufen goldener Getreidekörner herumsaßen.
Aszulay hatte mir geraten, mich nicht zu ihnen zu gesellen, es sei denn, sie forderten mich dazu auf. Und als sie wieder wegsahen und fortfuhren, das Getreide zu verlesen, indem sie Schmutzteilchen herauspickten und die von Unreinheiten gesäuberten Körner auf einen Jutestreifen gaben, setzte ich mich ans hintere Ende des Dachs.
Ich ließ das Gesicht bedeckt, fühlte ich mich doch irgendwie wohler, wenn sie meine Miene und die Unsicherheit, die ich vermutlich ausstrahlte, nicht sahen. Was hatte der Mann wohl über mich erzählt? Was dachten sie von mir, einer Frau allein in einem Land, in dem eine Frau ohne Mann gar nichts war? Gewiss empfanden sie Mitleid. Vielleicht Abneigung. Ich wusste es nicht.
Sie begannen wieder zu plaudern, doch etwas leiser als zuvor und indem sie mir gelegentlich verstohlene Blicke zuwarfen. Während ich den Blick über die Altstadt schweifen ließ, sah ich immer wieder flüchtig zu ihnen hinüber. Über meinem Kopf schossen Schwalben hin und her. Ich wünschte, ich hätte verstehen können, was die Frauen sprachen. Von den Flachdächern der anderen Häuser waren manche ein wenig höher, andere wiederum niedriger als das, auf dem ich saß. Hie und da wurde das Dächermeer von einem Minarett überragt. Wie Leuchttürme, die ein wenig fehl am Platz wirkten, erhoben sie sich quadratisch und gleichermaßen stabil und schlank aus ihrer Umgebung.
In einiger Entfernung hinter der Stadt schimmerte das Atlasgebirge in der Sonne. Wenn ich die Augen fast zumachte und ein wenig blinzelte, schien es, als müsste ich nur die Hand ausstrecken und ich könnte die Berge berühren.
Ich dachte daran, wie ich auf dem Hoteldach in Tanger gestanden hatte und dass ich mich wie eine Frau gefangen zwischen zwei Welten gefühlt hatte. Doch hier, in einem Kaftan und mit Gesichtsschleier, hatte ich das Gefühl, eine unsichtbare Grenze überschritten zu haben. In diesem Moment gab es nur diese eine Welt hier, die ich bewohnte.
Auch auf einigen der benachbarten Dächer erblickte ich Frauen und Kinder; Männer waren nirgendwo zu sehen. Ganz offensichtlich waren die Dächer das Refugium der Frauen, der Ort, an dem sie frei waren. Hier waren sie unverschleiert und konnten sie selbst sein. Hier erinnerten sie nicht an die dunklen Gestalten, die in den Straßen und Gassen der Medina an mir vorbeigehuscht waren. Während sie Laken zum Trocknen ausbreiteten und ihre Kinder stillten oder über einer Näharbeit gebeugt dasaßen, lachten und plauderten sie ausgelassen. Eine Frau stritt laut mit einer jüngeren, und an der vertrauten Art, wie sie miteinander umgingen, spürte ich, dass es sich um Mutter und Tochter handelte. Eine alte Frau lag schlafend und mit offenem Mund auf dem Rücken in der Sonne. Kleine Kinder spielten, kletterten über ihre Mütter oder kauten an einem Stück Brot, das sie mit ihrer kleinen Faust umklammerten.
Nach einer Weile schienen die drei Frauen mich vergessen zu haben. Sie lachten und nickten einander zu, während sich ihre kräftigen Hände geübt und flink an dem Getreideberg zu schaffen machten. Plötzlich beneidete ich sie um ihre Nähe, die freundschaftliche Art, wie sie miteinander umgingen.
In der Juniper Road hatte ich bewusst Freundschaften gemieden, doch hier sehnte ich mich danach, Teil dieser kleinen Gruppe zu sein, auch wenn ich selbst nicht wusste, warum. Ich hätte gern eine Hand voll goldener Getreidekörner zwischen meinen Fingern durchrieseln lassen, und obwohl ich ihre Gespräche nicht verstand, wollte ich, dass ihre fremden Worte mich umflossen und sich mir um die Schultern legten wie ein leichter Mantel.
NEUNUNDZWANZIG
S eit drei Tagen wohnte ich nun in dem Haus in der Sharia Soura. Dem Hausherrn war ich seit meiner Ankunft nicht mehr begegnet, sondern hörte nur morgens und abends seine Stimme und sah ihn vom Fenster meines Zimmers im Innenhof. Oft war er in Begleitung zweier Jungen von vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahren, der Söhne, die Aszulay erwähnt hatte und die offensichtlich Zwillinge waren – beide gleich groß, hoch aufgeschossen und mit breiten Schultern.
Die alte Dienerin schenkte mir keine Beachtung, doch mir entging nicht, dass die jüngere Ehefrau mich neugierig
Weitere Kostenlose Bücher