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Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate

Titel: Der Duft von Safran - Holeman, L: Duft von Safran - The Saffron Gate Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Linda Holeman
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in Albany habe ich immer nur Aquarelle gemalt.« Ich sah ihn flüchtig von der Seite an. » Bei mir zu Hause. Aber hier sind die Farben so leuchtend und lebendig, und die Dinge, die ich malen will, benötigen mehr Tiefe, mehr Kraft. Ich habe das Gefühl, all das mit Wasserfarben nicht einfangen zu können. Aber natürlich erfordert das Malen mit Ölfarben eine ganz andere Technik, und ich beherrsche sie noch gar nicht. Es wird eine Zeit lang dauern, bis ich so weit bin.« Ich legte den Pinsel auf die Palette und wischte die Hände an meinem Kaftan ab. » Der Pinsel rutscht mir in der Hand.«
    » Wird es jemals so heiß in dem Teil Amerikas, aus dem Sie kommen?«, fragte er. » In Albany. Wo liegt das?«
    » Es ist in der Nähe von New York City. Im Staat New York.«
    Aszulay nickte. » Die Freiheitsstatue.« Er lächelte.
    » Im Sommer kann es dort sehr heiß werden, außerdem ist es sehr feucht. Aber nicht vergleichbar mit der hiesigen Hitze. Und die Winter sind lang und bitterkalt. Es gibt Schnee. Zu viel Schnee. Die Landschaft ist ganz weiß, unberührbar irgendwie.« Ich betrachtete meinen Versuch, die marokkanische Sonne einzufangen. » Ich meine, es ist nicht … es ist nicht wie hier. Nicht so warm und strahlend.«
    »Haben Sie Heimweh? Vermissen Sie Ihr Zuhause in New York?«, fragte Aszulay, während er das begonnene Bild betrachtete.
    Ich dachte nach. Ob ich es vermisste?
    » Ich interessiere mich für andere Orte«, sagte er, nachdem ich seine Frage nicht beantwortet hatte.
    Ich dachte, dass Aszulay nicht nur neugierig war, sondern mich geradezu ausfragte. Neugierde war eher etwas Passives, eine Art Staunen, wohingegen er alles andere als passiv wirkte. Er besah sich die Welt nicht nur, sondern beobachtete sie. Ein haarfeiner Unterschied nur, aber mit einer großen Wirkung.
    » Ich war schon immer erstaunt, dass …« Aszulay ließ den Satz unbeendet. Ich wartete. Suchte er nach dem passenden französischen Wort? Wie gebannt starrte er jetzt auf das Bild.
    Und dann hörte ich es, verstand, warum er plötzlich still geworden war. Ein Vogelgesang, ein zartes Geträller, das aus dem dichten Blattwerk kam, das über unseren Köpfen Schatten spendete. Aszulay blickte nicht nach oben, um mit den Augen nach dem kleinen Wesen zu suchen, dem Urheber dieses wunderschönen Gesangs, sondern hielt den Blick starr auf die Leinwand gerichtet, unbewusst, wie ich vermutete, denn seine ganze Konzentration schien dem Vogelgezwitscher zu gelten.
    Ich öffnete den Mund und verharrte einen Augenblick. Sollte ich wirklich etwas sagen – etwas im Zusammenhang mit dem Laut? Ihn vielleicht fragen, welcher Vogel dieses herrliche Geträller hervorbrachte?
    Der Laut verstummte, und ich schloss die Lippen. Aszulay blinzelte und nahm den Gesprächsfaden wieder auf, als hätte er nicht im Sprechen innegehalten. » … dass es in Amerika Tiere gibt, die im Schnee leben können.«
    Und ich glaube, es war in diesem Moment – während ich diesen großen Blauen Mann betrachtete, dessen Gesicht in den sanft zwischen den Blättern durchschimmernden Sonnenstrahlen glitzerte, mit den von der Gartenarbeit muskulösen Unterarmen, der einen Augenblick lang verstummt war, um ehrfürchtig einem Vogelgesang zu lauschen –, dass etwas in mir zerriss. Kein schmerzlicher Riss, sondern ein langsames, behutsames Auseinanderbrechen.
    Falida kam mit einem Teller voll Eintopf zurück und reichte ihn Aszulay. Er setzte sich auf einen Hocker in der Nähe und sah mir beim Malen zu.
    Als ich ein paar Stunden später in die Sharia Soura zurückkehrte, begab ich mich aufs Dach. Dort traf ich Mena zusammen mit einer Frau an, die ich nicht kannte. Mena hatte ein kleines Kind im Schoß, und die Frau stillte einen Säugling. Als sie mich sahen, unterbrachen sie ihre Plauderei und grüßten mich mit » Slema«, dem Gruß, der Nicht-Muslimen vorbehalten ist, wie ich inzwischen wusste, und mit dem man dem Angesprochenen Wohlergehen auf der Erde wünscht. Ich grüßte sie ebenfalls und ging dann ans andere Ende des Daches. Während ich wie immer den Blick über die Dächer der Medina schweifen ließ, lauschte ich zugleich Mena und ihrer Freundin. Inzwischen verstand ich einige Worte und Sätze auf Arabisch, sodass ich den einen oder anderen Gesprächsfetzen ausmachen konnte. Zuerst ging es um die Schwiegermutter der Freundin, dann um ein Gericht mit Auberginen, schließlich um einen kranken Esel. Das Kind auf Menas Schoß begann zu schreien, und ich sah zu ihnen

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